Nun war es also soweit, Christina würde für eine Woche in Lunsar sein, um dort am Bibelseminar der Baptisten den ersten Blockunterricht zu bestreiten.
So fuhren wir am Sonntag nach Lunsar, einem Städtchen in der Provinz. Fahrzeit durchschnittlich 1,5 Stunden. Dieser Highway ist vierspurig und gut ausgebaut – von den Chinesen finanziert und über drei Mautstationen über viele, viele Jahre finanziert. Weil Ralf für die Fahrten zu Nathanaels Schule das Auto braucht, brachte er Christina nach Lunsar, um dann zurück und sie eine Woche später, ebenfalls sonntags wieder abzuholen.
Die Stadt Lunsar war leicht zu finden – immer dem Highway und Schildern nach – doch die Augenklinik des Baptistenbundes (unser Ziel) war auf Google Maps gleich zweimal eingezeichnet. Christina entschied sich für „Baptist Eye Clinic“ und lag völlig daneben. Wir kurvten durch kleine Huckelpisten und fragten uns durch – für die Einheimischen eine willkommene Abwechslung zum ruhigen Sonntagnachmittag. Wir waren die Attraktion, vor allem für die Kinder. Aber schließlich fanden wir dann doch noch den Baptistencompound.

Hier war Christina bereits im September gewesen und zeigte ihrem Mann nun das weitläufige Gelände mitsamt Hühnerfarm und Mehrzweckgebäude. Dann wurden wir sehr freundlich von einer Koordinatorin des Baptistenseminars in Empfang genommen. Sie brachte uns anschließend zum Haus von Oosterloos, wo Christina in der Woche wohnen würde.

Hans-Willem Oosterloo ist ein Missionar aus den Niederlanden, der seit gut 40 Jahren in Sierra Leone lebt. Er war als Lehrer tätig und verwaltete die Finanzen der EBM vor Ort. Er war schon damals dabei, als der Baptistenbund hier gegründet wurde. Er kennt Hinz und Kunz und ist ein wandelndes Geschichtsbuch. Es ist sehr spannend zu hören, was er alles erlebt hat. Seit vielen Jahren ist er mit Aisha verheiratet, einer reizenden Einheimischen. Auf ihrem Gelände wohnt auch noch Aishas Mutter, die Hühner für den Eigenbedarf züchtet, und ein alter Hund, der v.a. nachts das Gelände bewacht.

Ralf verabschiedete sich nach einem leckeren Mittagessen zügig, um den Rückweg noch zu schaffen, bevor es dunkel würde. Er hat es gerade so geschafft. Durch den Harmattan wird es nämlich oftmals recht früh dämmerig. Bis die Sonne dann jedoch untergeht, dauert es eine ganze Weile.

Christina war aufgeregt, als es am Montag in die erste Vorlesung ging. Ihr wurde vorher gesagt, dass die meisten Studenten „basic English“ können. Was bedeutet das? Verstehen sie, wovon sie reden würde? Braucht sie einen Übersetzer?

Zunächst waren nur 2-3 Studierende da. Weitere würden später anreisen. Alle Studierenden dort sind bereits als Hilfspastoren tätig und werden berufsbegleitend ausgebildet. Einige hatten Notfälle in ihren Gemeinden, andere mussten zunächst das Geld für den Transport quer durchs Land auftreiben. In kleinen Landgemeinden müssen sie nebenher noch anderweitig ihren Lebensunterhalt verdienen, weil die Bezahlung zu gering ausfällt. Für diese Gemeinden ist es auch eine Herausforderung, die Fahrtkosten und Verpflegungskosten für die Blockseminare am Baptistenseminar zu stemmen, gerade in dieser wirtschaftlich angespannten Zeit. Früher, so erfuhren wir übernahm der BCSL die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, das hatte sich nun geändert und so ist für viele PastorInnen eine Teilnahme kaum noch möglich. Die Anzahl der Studenten wuchs auf 8 Teilnehmende an, was jedoch bis Ende der Woche aufgrund mehrerer Todesfälle in den Gemeinden wieder weniger wurde, wo zwei Studierende spontan hin mussten.

Mit Erleichterung stellte Christina fest, dass beim Unterrichten die Verständigung kein Problem darstellte. Wir hatten eine gute Zeit. Wenn das Unterrichten in die Mittagszeit fiel, war jedoch Wachbleiben für die Teilnehmenden eine Herausforderung, zumal viele sich kein Frühstück leisten konnten, sondern auf die eine Mahlzeit am Nachmittag warten mussten. So spendierte Christina Bananen für alle, nachdem sie erfahren hatte, wie klamm es mit der Verpflegung vor Ort aussah.

Der Umgang im Unterricht war auch hier von Wertschätzung und Respekt geprägt. Wir lernten einander etwas kennen und diskutierten über unseren Umgang mit der Bibel. Wichtige Punkte wiederholte Christina immer wieder, um sie in Erinnerung zu rufen. Wir sprachen über magische Praktiken (hier durch die traditionellen Geheimgesellschaften weit verbreitet), über kulturelle Unterschiede, über die Menge an Wasser, die benötigt wird, damit eine Taufe gültig ist, über eine gute Predigtvorbereitung und über die Ausbeutung Afrikas durch die Kolonialmächte. Die Studierenden amüsierten sich über Christinas Reaktion auf eine Kuh, die einfach neben unserem Unterrichtsraum an ein kleines Bäumchen angebunden war, um grasen zu können. Als die Kuh weiter wollte, schrottete sie fast das Bäumchen, weil sie stärker war. Hier ganz normal. Für Christina echt spannend.
Den Weg von Oosterloos zum Unterrichtsort ging Christina mehrmals täglich zu Fuß, er dauerte kaum 5 Minuten. Für die Bewohner des Ortes war eine weiße Frau zu Fuß ein ungewohnter Anblick. Kinder kamen herbeigelaufen, riefen das einheimische Wort für „weiß“, berührten ihre Haut und tanzten um sie herum. Bikes blieben stehen, um eine Mitfahrgelegenheit anzubieten, und alle grüßten freundlich. Ein junger Mann bot spontan seine „Freundschaft“ an und wollte direkt ihre Whatsapp-Nummer (vergeblich). Der Weg war kurz, aber trotzdem ist man in Schweiß gebadet und braucht eine Weile, um wieder herunterzukühlen.

Oosterloos sind sehr gastfreundlich, man hat direkt Familienanschluss. Gäste werden nicht nur hervorragend verpflegt und sehr liebevoll behandelt, sondern auch in die täglichen Morgenandachten mit hinein genommen. Es sollte an nichts fehlen! Und wie es so ist, wenn Christen sich unterhalten – die Welt ist klein, v.a. die baptistische. Hans hatte viel mit dem deutschen Baptistenbund zu tun, war schon in der Familienferienstätte Dorfweil, auf diversen Bundeskonferenzen und kennt dutzende von Missionaren aus Deutschland und anderswo. Christina stellte unter anderem fest, dass ein ehemaliger Jugendleiter aus ihrer Heimatgemeinde Darmstadt in den Neunzigerjahren als Missionar im Nachbarort von Lunsar arbeitete. Auch die Missionare der EFG Wiehl, die Christina in ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr dort kennenlernte, waren Nachbarn von Oosterloos gewesen. So ging uns Gesprächsstoff nie aus. Für Christina war es sehr wertvoll, über die hiesige Kultur zu sprechen, über die Geschichte des Baptistenbundes und über ihre Erfahrungen der ersten Monate. Oosterloos sind ein Geschenk und wir sind dankbar, sie kennengelernt zu haben!

Nach einer Woche, in der Ralf allein in Jui nicht nur den normalen Alltag stemmte, sondern nebenher auch noch Elternsprechtag und eine Weihnachtsfeier an der Schule besuchte, nach schlaflosen Nächten (aufgrund des Lärms) weitere Abenteuer mit dem Auto bestritt und eine kaputte Decke im Schlafzimmer reparieren lassen musste, holte er Christina schließlich wieder ab. Es ist schön, wieder vereint zu sein. Nun kann Weihnachten kommen!