Wir wissen, dass Sierra Leone zu den ärmsten Ländern der Welt zählt. Wir wissen, dass viele Menschen hier unterhalb der Armutsgrenze leben und sich eine Mahlzeit am Tag kaum leisten können – geschweige denn wissen, wie sie ihre Familien ernähren sollen.
Und so ist klar, dass Geld immer ein Thema ist. Deshalb hat uns verwundert, dass z.B. in den Gottesdiensten stets zwei-vier Kollekten erhoben werden und fast jeder stets nach vorne geht und gibt. Klar geht es nie um riesen Summen – aber dennoch.

Ralf kann sich noch gut an manche Diskussion in Deutschland entsinnen, ob es gut und richtig ist, an Sonntagen zweimal zu sammeln? Ob das Spendenkörbchen durch die Reihen gehen oder eher diskret am Ausgang stehen soll? Nun, hier geht jeder mit seinem Obolus nach vorn, oft wird getanzt, und immer wird ein Danklied geträllert. Hier wird für verschiede Projekte der Gemeinden gesammelt (Haushalt; Mission; Generationen/Arbeitsbereiche der Gemeinde; Kirchenbund). Dabei gibt es manchmal zwei Körbchen – einen für Männer, einen für Frauen. Und in der nächsten Woche wird dann verkündet, wer mehr geschafft hat. Inspiration!
Auch bei den Campusgottesdiensten für Studierende und Mitarbeiter mit ihren Familien wird wöchentlich sonntags und mittwochs das Angebot zur Kollekte (Offering) gemacht. Dabei hören wir immer wieder, dass bei etliche Studenten ihre Studiengebühren noch nicht beglichen sind.

Auch waren wir bei den Dozententreffen betroffen, wenn der Direktor davon erzählte, dass er – am Ende des Monats – erleichtert war, gerade so eben die Gehälter überweisen zu können. Das kam öfter vor und so fragten wir uns, was wohl dahinter steckt?
Bis dato wurden die Studierenden in den Zusammenkünften stets daran erinnert, ihre Semestergebühren zu begleichen oder zumindest Ratenzahlungen zu leisten, ansonsten können sie hier nicht weiter studieren.
Eigentlich sollten diese Gebühren bis zum Semsterbegin beglichen sein. Nun stand die Deadline fest. Wer bis Mitte November seine Gebühr nicht bezahlt hat, muss leider gehen – darf nicht weiter studieren oder Prüfungen ablegen!
Diese Einkünfte decken ca. 50% des T.E.C.T. Haushaltes.
Für ein Jahr betragen die Semestergebühren pro Studierendem entweder 3.900 oder 4.500 Leones und hat etwas mit den Abschlüssen zu tun, auf die studiert wird, entweder auf Diplom (Zweijahresprogramm) oder auf Bachelor (vier Jahre).
Das sind umgerechnet 200 bzw. 250 Euro pro Jahr. Eine stolze Summe für ein Land, das kaum Arbeit anbietet oder entsprechende Löhne zahlt. Klar, dass sich viele das nicht leisten können, wenn man nicht Eltern mit guten Jobs im Hintergrund hat. Natürlich arbeiten etliche der Studenten nebenher und doch reicht es kaum für Essen, geschweige denn für mehr. Bildung ist ein Meilenstein für den sozialen Aufstieg.

Durch den Krieg in Europa schießen hier die Preise gerade nach oben. Nahrung wird meist importiert, genau wie Kraftstoff. Familien kommen kaum über die Runden. Oft wird unfreiwillig gefastet – aufgrund von Geldmangel.
Dennoch muss TECT schauen, wie es bestehen kann. Deshalb müssen nun Nägel mit Köpfen gemacht werden und Studierende, die nicht gezahlt haben, des Studiums verwiesen werden.
Diese „Entlassgespräche“ standen nun an und die Buchhalterin zusammen mit dem Rektor müssen diese Gespräche führen. Wir merken, wie schwer es ihnen fällt und wie sehr es ihnen zu Herzen geht. Dennoch lässt es sich nicht vermeiden. Zum einen sind da die laufenden Kosten für das T.E.C.T. selbst und dann warten noch staatliche Gebühren für die anerkannten Abschlüsse.
Also was hilft es zu studieren und am Ende keinen Abschluss zu erhalten …
Nun sind wir mitten drin in der Campusfamilie (in der „Fambul“) und auch uns beschäftigt das. So suchten wir das Gespräch mit der Buchhalterin und dann mit dem Direktor. Wir wollten herausfinden, ob wir manches korrekt wahrnahmen und ein paar Hintergrundinformationen dazu erhalten können: Um wie viele Studenten handelt es sich? Was sind Gründe fürs Nichtzahlen? Gibt es noch Möglichkeiten?
Beiden fiel es sichtlich schwer darüber zu reden, weil es nicht leicht ist, Studierende auszuweisen. Soviel Hoffnung und Potential, das ausgebremst wird und zudem eine trübe Perspektive für die Zukunft bedeutet.
Am nächsten Tag hatten wir ohnehin ein Treffen mit Christinas „Oberboss der EBMI“ – also gleich nach Gott und Jesus (lol) – und auf die Frage, wie es uns geht, sind wir auch darüber ins Gespräch gekommen.
EBM International hat ein kleines Stipendienprogramm, das evtl. einigen helfen könnte. Wir waren darüber Feuer und Flamme, sind zur Buchhalterin gegangen und berichteten ihr davon. Sie möge doch ein paar Informationen zur Anzahl dieser Studierenden – zur Situation und wo Hilfe wirklich angebracht ist, sammeln und uns geben.
Am nächsten Tag kam sie auf uns zu und meinte, es beträfe fast 40 Studenten …. – die einfach keine Chance haben, die Studiengebühren komplett aufzubringen. Wir wissen noch nicht, ob das was wird – die Anträge genehmigt werden und wie vielen geholfen werden kann – aber Hoffnung gibt es. Und ja in Rücksprache wird es für etwa ein Drittel der Notfälle ein Stipendium geben – Danke EBM International!
Weiter versuchten wir mehr Informationen über das Gehältergefüge in Sierra Leone herauszufinden. Infolgedessen erfuhren wir, dass ein durchschnittliches staatliches Gehalt für z.B. Lehrer / Dozenten bei ca. 800 Leones / Monat liegt.

Da das T.E.C.T. als christliches Werk frei und staatlich unabhängig ist, gibt es auch keine oder kaum staatliche Zuschüsse. So sind auch die Gehälter immer noch mal etwas geringer – das ist ja nicht nur hier so bei christlichen Einrichtungen. Damit bestätigten sich die Vermutungen die wir hatten.
So verdient am T.E.C.T. ein Lektor ca. 600 Leones im Monat (33 Euro). Darüber hinaus gibt es noch staatlich angeordnete Zusatzleistungen (Miete – Fahrkosten – Versicherung), die ein Arbeitgeber übernehmen muss. Das sind gute Ideen, aber sehr geringe Beträge und ob die auch umgesetzt werden, ist nicht immer gegeben. So mag das Gehalt bei um die 1.000 Leones / Monat (55 Euro) liegen, vermuten wir.
Darüber hinaus gibt es noch Sicherheitsleute, Mechaniker und Gartenarbeiter – wie viel die bekommen, können wir gar nicht sagen. Selbst wenn es etwas mehr ist, als wir nun vermuten, haben wir uns gefragt – wie um Himmels Willen will man davon eine Familie ernähren und durch den Monat kommen??
So bekommt die dankbare Aussage des Rektors am Ende eines Monats, „ich konnte die Gehälter überweisen“, eine ganz neue Bedeutung.
Hier ist einer der Gründe zu finden, dass alle Dozenten noch mindestens einen anderen Job haben – z.B. die Theologen als Gemeindepastoren arbeiten oder in anderen Lehranstalten für Abendunterricht oder am Wochenende tätig sind. Und nicht wenige haben darüber hinaus noch einen weiteren Job.
Die Buchhalterin ist beim T.E.C.T. angestellt und auch bei ihrer Kirchengemeinde. Sie hat sich außerdem mit einer Nähmaschine (aus Deutschland – ein uraltes, aber funktionsfähiges Teil) zusammengetan, um für ihre drei Kinder zu nähen und Kosten niedrig zu halten. Darüber hinaus will sie abends noch ein Studium zum Steuerberater machen. Das ist keine Ausnahme. Es ist also kein Wunder, dass die Leute hier oft müde erscheinen und nicht selten auch bei den Veranstaltungen kurz einnicken – bis sie durch gezieltes Anstupsen oder durch die Lautstärke des Predigenden wieder ganz dabei sind.
Durch Corona und den Krieg befindet sich der Leone im freien Fall und verschärft die ganze Situation weiter. Als wir im August 2022 hier ankamen, stand der Wechselkurs für einen Euro bei 12 neuen Leones. Nun bekommt man für einen Euro 17 Leones. Gleichzeitig steigen die Preise rasant. Wir haben ausgerechnet, dass allein der Sprit in den drei Monaten um über 20 % gestiegen ist, wie auch viele Lebensmittel. Ein 50 Kilo-Sack Reis kostete im August ca. 350 Leones, jetzt sind es 550 Leones. Mit einem Sack kommt man einen guten Monat aus, wenn man eine große Familie hat und außer Reis fast nichts isst.

Wir waren betroffen! Es bestätigte sich, was wir vermuteten. Nun sind wir hier, leben unter diesen Menschen, sind Teil dieser Familie. Da Gott immer einen weiten Horizont hat, sind wir am Fragen, Hören und Schauen, was das konkret bedeuten kann. Bis dahin tun wir eben, was uns vor die Füße fällt und möglich ist. Hier brauchen wir viel Weisheit und Gebet!
Für Ralf haben in den letzten Wochen die ersten Zeilen aus dem Beginn des Johannesevangeliums eine neue Bedeutung gewonnen. Es sind sicher sehr bekannte Verse. Jesus kam aus der Herrlichkeit, um unter den Menschen zu wohnen und Leben zu teilen. Das Perfekte ausgetauscht mit dem Kaputten.
Das klang immer irgendwie fremd und hatte für ihn wenig Bedeutung – das Leben bis dahin war doch nicht schlecht – die Welt, die er kannte, überwiegend gut.
Um Ralf nicht falsch zu verstehen, hier geht es nicht um einen Vergleich. Aber ihm wurde etwas mehr deutlich, was das für Jesus bedeutet haben könnte – loszulassen, um mitten unter den Menschen – in der kaputten, notleidenden Welt zu leben – korrumpiert und beherrscht durch Sünde. Gemeinschaft mit Menschen, die er liebt und zu erlösen gekommen ist.
Du siehst das Leid – es berührt dein Herz – du willst helfen, doch als wahrer Mensch sind dir Grenzen gesetzt. Mit welchem Blick, mit welchem Herz mag der wahre Gott wohl unter uns gelebt haben und heute leben?
Es hilft Ralf, den Blick weg von sich oder den Menschen vor Ort zu wenden, und sich klar zu machen, das Jesus gerade jetzt hier ist – mitten unter uns und uns sieht. Seine Gegenwart ist präsent! Damit dürfen – müssen – wollen wir rechnen!
