Als klar war, wir gehen mit EBMI nach Sierra Leone, hatten wir zwei Möglichkeiten, wo wir uns niederlassen können. Zum einen gibt es direkt bei der Emmanuel Baptist Church in Kingtom/Freetown ein 3-Zimmer-Appartment auf dem Gelände der Baptist Convention of Sierra Leone (BCSL), zum anderen eine Unterkunft in Jui direkt auf dem T.E.C.T. Campus, wo Christina unterrichten würde.

Als wir uns die Karte angesehen haben, stellten wir fest, dass die British Internationale Schule so ziemlich in der Mitte von beiden Orten ist – vielleicht ein wenig näher an Kingtom.
Allerdings hätten wir jeden Tag durch die Innenstadt von Freetown fahren und uns dort durch Unmengen an Verkehr schieben müssen. Zudem wäre der Arbeitsweg von Christina deutlich länger und wir hätten zwei Autos oder Fahrer benötigt. Das gab schließlich den Ausschlag, uns in Jui auf dem T.E.C.T. Campus anzusiedeln.
Dies bedeutet, dass wir unter der Woche Nathanael täglich in die ca. 20km entfernte Schule über den Bypass (Hillroad) fahren und auch wieder abholen müssen. Auch wenn uns ein Fahrer dafür angeboten wurde, war uns klar, Ralf würde das mit dem Fahren übernehmen. Damit ist er 4 Stunden täglich beschäftigt – zwei Stunden morgens, zwei nachmittags und manchmal ein bisschen Meer.
So haben wir uns im Vorfeld erkundigt, was zum Fahren in Sierra Leone nötig ist. Reicht ein Führerschein oder ist ein Internationaler Führerschein notwendig? Wir beantragten für Christina & Ralf jeweils einen Internationalen Führerschein. Damit waren wir vorbereitet!

Anmerkung: Wir haben ja mittlerweile echt ansprechende Kartenführerscheine in der EU. Wenn man dagegen den Internationalen Führerschein der BRD in den Händen hält, scheint es nicht verwunderlich, dass dessen Bedeutung im Ausland – wo er ja gelten soll – kaum Anerkennung findet.

In Sierra Leone angekommen und vorgewarnt, wollten wir in den ersten Wochen lieber erstmal schauen, wie es so im Straßenverkehr läuft und ob wir damit zurechtkommen. Wir waren schon echt beeindruckt ob der spontanen Fahrweise aller Verkehrsteilnehmer, dem Verkehrsgewühl und den prekären Straßenverhältnissen – wow, das liegt gefühlt so zwischen Ägypten und Indien und so wollten wir dann doch erst mal beim gucken verweilen. Doch immer auf Fahrer, die von weit her kommen, angewiesen zu sein und ob es dann auch passt, beeinflusste unsere Vorgehensweise.
Nach gut drei Wochen auf dem Campus wurde es Zeit, endlich mal ein wenig Freiheit und Weite zu erobern. Da Ralf sich das nun zutraute, machten wir eine erste Einkaufstour. Es war spannend und ein Abenteuer – aber na klar, alles lief glatt und klappte prima – Ralf macht das Fahren hier Spaß. Er muss nur aufpassen, dass er den hiesigen Fahrstil nicht adaptiert – da rechts Überholen, dauerhaftes Hupen oder bei zwei Spuren spontan eine dritte Fahrspur aufmachen nicht so gut in Deutschland ankommt.

Also es funktionierte und so stand den Schulfahrten, welche in eineinhalb Wochen beginnen sollten, nichts im Weg …. dachten wir.
Am Abend erhielten wir einen Besuch vom Rektor des TECT – „Introduction Time“ – in den ersten Wochen kam er oft, um uns zu erklären, wie man in Sierra Leone – in Jui – auf dem Campus lebt und worauf man achten sollte.
Nun ging es um das Fahren mit dem Auto. Er hatte mitbekommen, dass wir allein mit dem Auto ohne Fahrer unterwegs waren. Wir dachten, wir haben alles Nötige und es ist mit allen besprochen, dass Ralf Nathanael zur Schule fahren wird. Aus deutscher Sicht war von vornherein klar – irgendwann bald werden wir selbstständig fahren. Aber small, small.
Nun ja, das war offensichtlich doch nicht allen klar. Wir wurden daran erinnert, dass wir als Weiße unterwegs sind – ob wir überhaupt fahren dürfen, also eine gültige Fahrerlaubnis haben? Ob der Internationale Führerschein überhaupt in Sierra Leone anerkannt ist? Und ob wir wissen, was passiert, wenn wir an einem der unzähligen Militär- oder Polizei-Checkpoints – die gibt es wahrhaft überall und zuhauf – angehalten werden und wenn der Internationale Führerschein nicht akzeptiert wird – was dann geschieht und wo wir dann hinkommen?
Unsere Hinweise, wir hätten uns im Vorfeld informiert – auch bei der EBMI und dem Präsidenten der BCSL und da wären keine Einwände oder Vorbehalte gekommen, wurden freundlich und bestimmt abgewiesen. Das Verständnis ist hier, dass er sich als Rektor des Campus für uns verantwortlich sieht. Somit muss er unsere Sicherheit sicherstellen. Er will sich also erstmal informieren und kommt dann auf uns zurück. Bis dahin bitte nicht mehr allein fahren!!

Wie gesagt, wir hatten noch eine knappe Woche, bevor die Schule losging, und der Fahrer, den wir bis dato nutzten, war eigentlich vom Präsidenten der BCSL. Er stand uns nicht ständig zur Verfügung. Außerdem braucht er ca. eine Stunde Anfahrtszeit quer durch Freetown zu uns nach JUI – wirklich??
Parallel fragten wir bei der deutschen Botschaft und beim Präsidenten der BCSL nach, wie das mit einer Fahrerlaubnis in Sierra Leone aussieht und sich verhält.
Die Auskünfte besagten, dass wir drei Monate mit dem Internationalen Führerschein im Zusammenspiel mit dem deutschen Führerschein in Sierra Leone fahren dürfen. Danach benötigen wir einen lokalen Führerschein für Sierra Leone.
Damit waren also die bisherigen Erkenntnisse klar, wobei die dreimonatige Nutzbarkeit neu war und uns vor das nächste behördliche Problem stellte – wie und wo stellen wir einen Antrag auf hiesige Führerscheine und wie lange dauert das bzw. was benötigen wir hierfür?
Irgendwann gab dann auch der Rektor seinen Segen, nachdem er eigene Quellen befragt hatte. So war von allen nur erdenklichen Seiten das eigenständige Fahren abgesegnet – was für eine „Führerscheinprüfung“?

Nun konnten wir Nathanael zur Schule fahren und abholen wie geplant. Allerdings, nach all den „Introductions“ zum fahren, wurden die Checkpoints auf dem Weg zuerst mulmig betrachtet und wenn dann ein Polizist oder Militär uns aufforderte zu stoppen, das Fenster runterzukurbeln, ging einem schon die Muffe. Aber …. die wollen auch nur „spielen“ – sich ein wenig unterhalten. Wenn man lächelt, öffnet sich meist das ernste Gesicht und wünscht freundlich einen schönen Tag.
Also das klappte schon mal und Tag für Tag nimmt die Zuversicht und Gelassenheit zu. Dennoch, wir näherten uns der Drei-Monats-Marke, dann wann die Gültigkeit der Internationalen Führerscheine abläuft. Wie wir bisher unsere hiesigen Behördengänge wahrgenommen haben, kann das schon seine Zeit benötigen, bis wir einen nationalen Führerschein haben. Was ja auch in D nicht anders ist.
So ermutigten wir in Abständen immer wieder den Präsidenten der BCSL, der uns bei solchen Dingen hilft. Nur seine Überzeugung und Informationen besagten, wir benötigen keine nationale Lizenz, sondern unser Internationaler Führerschein reicht. Und wenn wir Schwierigkeiten bekämen, müssten wir ihn einfach nur anrufen, er würde alles regeln. Doch diese Meinung teilte niemand anderes mit ihm – weder unsere Deutsche Botschaft – noch internationale Bekannte, die schon länger hier leben – noch die Campusgemeinschaft. Und die Vorstellung ihn aus dem Zimmer mit Gittern vor dem Fenster anzurufen, ließ Ralf nicht experimentierfreudig werden.
Wie war das noch mit der bittenden Witwe (Lk 18): Dran bleiben! Schließlich bekamen wir dann was wir benötigen, und alles weitere wurde nun in die Hände des Rektors vom TECT gelegt.

Für die Beantragung eines nationalen Führerscheins benötigen wir zuerst eine „Local Registration“ – also einen Einwohnermeldeschein. Den gibt’s beim hiesigen Standesamt.
Der Rektor delegierte die Aufgabe, uns bei diesen Angelegenheiten zu unterstützen, an den Registrar des TECT weiter. Dieser informierte uns, dass wir bitte am Freitagmorgen in die Innenstadt von Freetown kommen und uns dort mit ihm vor dem Standesamt treffen sollten. Er würde uns dann durch den Prozess schleusen. Anschließend können wir mit dem Meldeschein zum Verkehrsamt fahren, wo wir den Führerschein beantragen können.
Da der Verkehr in der Innenstadt anspruchsvoll, Parkplätze rar und die Adressen uns unbekannt waren, baten wir den Campus Driver Amadu, uns dorthin zu bringen.
Als wir trotz Stau recht pünktlich am Standesamt ankamen, war es nicht nur schwer einen möglichen Parkplatz zu finden. Vielmehr war das Gebäude bereits eine halbe Stunde nach Öffnung bereits umgeben von hunderten von Menschen, die allesamt dort hinein wollten – eine lange Schlange vor dem Gebäude, Trauben von Menschen vor der Türe und auch in den Räumen. Wir sahen den Registrar nicht, konnten ihn telefonisch nicht erreichen, also stellten wir uns einfach hinten an und fragten uns insgeheim, ob wir bis zum Abend bräuchten, um das Zertifikat zu erhalten, falls überhaupt.

Jetzt kommt jedoch der „Weißenbonus“. Als von einem Polizisten erkannt wurde, dass wir Weiße sind, erhielten wir sofort einen abgesperrten Parkplatz. Als wir ihm auf seine Frage antworteten, was wir wollten, wurden wir von ihm direkt quer durch die wartende Menschenmenge nach vorne zum Gebäude und hinein ins Gebäude gebracht – er musste sich den Weg wirklich freikämpfen, wir stiegen über sitzende, wartende Menschen, schlängelten uns unter Absperrbändern durch und wurden von allen bestaunt.
Beim Eingang wurden wir an den nächsten Sicherheitsbeamten übergeben, der uns zum zuständigen Beamten brachte. Der wiederum nahm uns mit und führte uns an einen von vier Schreibtischen, die in einem großen Raum standen, in dem übrigens ebenfalls zig Menschen warteten. Wir passierten also ALLE Wartenden und sollten uns als allererste an den Schreibtisch setzen, um auf eine Sachbearbeiterin zu warten, die sich bald unserem Anliegen annehmen würde. Es wurde sich oft dafür entschuldigt, dass sie leider nicht jetzt schon da sitzt, sondern wir noch einige Minuten warten müssten.
Alle anderen waren vor uns da. Alle anderen mussten nun noch länger warten, weil zwei Weiße vorgelassen wurden – o weh, was macht das mit einer korrekten deutschen Seele und ihrem Empfinden von Gerechtigkeit! Es war uns mega unangenehm – und auf der anderen Seite waren wir dankbar, dass uns Stunden des Wartens erspart blieben.

Die Sachbearbeiterin war zügig da und nahm unsere Daten, Fingerabdrücke, Unterschriften und ein Passbild auf. Nach ca. 30 Minuten waren wir fertig und erhielten einen kleinen Ausdruck. Den sollten wir am Montag mitbringen und bei der Kasse bezahlen. Am Dienstag würden wir dann die Meldescheine abholen können und damit schließlich zum Verkehrsamt gehen können. Also nix mit heute noch den Führerschein beantragen.
Währenddessen waren wir umringt von intensiven Gerüchen und einem lautstarken Stimmengewirr. Es wurde immer voller um uns herum. Die Vorstellung, an zwei weiteren Tagen nicht nur die weite Anfahrt, sondern auch erneut diesen Prozess durchlaufen zu dürfen, ließ bei uns kein Hochgefühl aufkommen. Bevor wir jedoch darauf reagieren konnten, merkten wir, dass unser Fahrer, der immer in der Nähe blieb, das wohl genauso sah. Er intervenierte, so dass er schließlich direkt mit den Belegen und unserem Geld zur Kasse durfte. Damit ersparte er uns die Montagsfahrt – Super Tenki!
Der freundliche Registrar, der uns durch diesen Prozess leiten und vor Ort treffen wollte, hatte es durch den Verkehr nicht rechtzeitig geschafft. Er rief inzwischen an und wollte uns anschließend draußen treffen, wo er auf uns wartete, um sicher zu gehen, dass alles gut geklappt hat. Aber auch das funktionierte nicht – Handyprobleme.

Nun sind wir einen Schritt weiter – sind als Einwohner registriert und können hoffentlich am Dienstag mit dem entsprechenden Meldeschein zum Verkehrsamt. Auch hier wird uns der Campusfahrer Amadu begleiten. Es ist wieder in der Innenstadt und so sind wir sehr dankbar für seine Hilfe beim Fahren und auch bei den Behörden. Ohne Einheimische wäre das wirklich schwierig…
Auf der Rückfahrt haben wir dann mal nachgefragt, ob all die Menschen, die nach wie vor in Mengen vor dem Gebäude warteten, hier stehen würden, um sich registrieren zu lassen. Ja, so ist es. Heute?? Er lächelte.