Die Nacht von Sonntag auf Montag (12.09.) war nach dem langen Sonntag mit der Einführung von Christina deutlich kürzer und als wir so um 6 Uhr aufstanden (zum ersten Mal nach zwei Monaten mussten wir morgens die Zeit im Blick behalten), war es doch etwas zögerlich – v.a. noch dunkel. Die Sonne geht fast exakt um 7 Uhr auf und um 19 Uhr unter.
Da jedoch die Schule um 8 Uhr beginnt und wir so gegen 7 Uhr losfahren wollten, blieb uns nichts anderes übrig. Nach allem was uns gesagt wurde und wir bisher erlebt haben, ist es gut ca. eine Stunde für die Strecke nach Freetown zur Schule einzuplanen.

Und so machten sich Ralf mit Nathanael um 7 Uhr mit dem Auto auf den Weg hinein ins Ungewisse. Wie wird das wohl werden – neue Kinder – neue Lehrer – eine kleine Klasse – alles in Englisch – sogar Französisch (wusste bis letzte Woche keiner von uns und hatte Nathanael noch nie zuvor) – gibt es nur Mädchen oder Jungen? – sind noch andere weiße Kinder da? Das und vieles mehr beschäftigt uns alle sehr!
Ein Satz von ihm auf die Frage, wie er über den Start dort denkt und empfindet; bleibt hängen: „Das ist nun mein fünfter Schulwechsel und dies ist eben einer davon!“

Wir sind stolz auf ihn, dass er sich auf ein solches Abenteuer einlässt, und Gott dankbar, dass auch Nathanaels Weg vorbereitet und umsorgt ist.
Die Fahrt klappte ganz gut und wir kamen deutlich vor 8 Uhr bei der Schule an. Die Zufahrt zur Schule geht von einer zweispurigen Stadtstraße etwas steiler nach oben, eine kleine Zufahrt durch ein Tor auf das Gelände der Schule.
Bei den Gebäuden ist dann ein Rondell – dort steigen die Kinder aus – Fiebermessen und Begrüßen und dann ab in den Schulbereich – zu seinem Klassenzimmer. Der Anfang war gemacht! Auch für uns Eltern ein Gefühl von Unsicherheit – Sorge und bangen Fragen – wie schwer wird´s?

Um 14 Uhr machte Ralf sich wieder auf dem Weg zum Abholen. Kurz vor der Schule war plötzlich eine längere Autoschlange auf der rechten Spur – Autos die parkten. Einfach so – ohne Blink- Warn- oder sonstige Lichter. Ralf war schon kurz davor auf die linke Seite zu wechseln und an der parkenden Autoschlange vorbeizufahren, als die Idee aufkam, es könnte sich um wartende Eltern handeln, welche auf die Öffnung des Tores um 15 Uhr warteten. Und so stellte er sich doch hinter das letzte Auto, parkte, Blinker an und … stieg auf der befahrenen Straße einfach aus, um beim Vordermann/frau seinen Verdacht bestätigt zu bekommen. Wer will schon stundenlang in einer Reihe stehen mit dem falschen Ziel?!

Auf Höhe der Fahrerseite klopfte er an das Fahrerfenster, und wenn der Fahrer nicht angeschnallt gewesen wäre, wäre der vor Schreck mit einem Satz aus dem Beifahrerfenster gehopst. Nach kurzer Verschnaufpause kam die Bestätigung der Überlegung: Es ist die Warteschlange für das Abholen der Kinder der BIS. Also zurück in den Wagen und warten, dass um 15 Uhr das Tor geöffnet wird und schauen, wie der Ablauf zum Abholen ist. Da die parkenden Autos eine der beiden Fahrspuren komplett blockieren und sich der Verkehr dennoch weiter zweispurig (Autos – Kekes – Mopeds) nach Freetown runter bewegt, ist es mitunter abenteuerlich und von viel Gehupe begleitet, dort zu „parken“. Die Schlange der parkenden Autos wächst beständig. Denn es sind ja nicht nur eine weiterführende – sondern noch Kindergarten und Grundschule dort.
Punkt 15 Uhr öffnet sich das Tor und ein Sicherheitsmann winkt mit einer grünen Kelle, dass die ersten Autos nun kommen können. Die Schlange setzt sich in Bewegung und während die ersten Autos durch das Tor verschwinden – wird die Kelle rot und es wird gewartet, bis diese Autos wieder rauskommen und Platz für die nächsten Fahrzeuge ist.

Als Ralf an der Reihe ist, fährt er bis zum Rondell, dort stehen Lehrer und weiter hinten die Schüler. Der Name das abzuholenden Kindes wird genannt – das Kind geholt oder weil es das Auto erkannt hat, kommt und steigt ein. Dann am Rondell kehrt und wieder durch das Tor raus zur Straße.
Ab 15 Uhr ist dort ein Polizist, der den Verkehr für die Abholungszeit regelt. Die meisten Eltern müssen genau wie wir wieder raus aus Freetown, also links auf die andere zweispurige Fahrbahn. Ohne dass jemand hier den Verkehr regelt, ist das aussichtlos.
Also der Polizist gibt den von oben und von unten kommenden Fahrzeugen den Hinweis anzuhalten, um dann den Fahrzeugen aus der Schule kommend die Möglichkeit zu geben rauszufahren. Interessant, dass sich die meisten Mopeds grundsätzlich an nichts halten – auch nicht an das Stopp eines Verkehrspolizisten. Sie lavieren sich mal eben einfach vorbei – egal was andere tun. Das ist echt eine riesige Gefahrenquelle und verwunderlich, dass nicht mehr passiert.
Dann gings wieder zurück nach Jui – wenn man gut durchkommt, braucht man sowohl rein wie raus 30-40 Minuten. Am Dienstag brauchten wir rein eine Stunde, da auf dem letzten Kilometer beide Fahrspuren in die Innenstadt Freetown so voll und verstopft waren, das man zu Fuß schneller vorangekommen wäre. Aber da es keine Fußgängerwege gibt – lieber nicht. Dennoch waren wir pünktlich.
Wie ging es Nathanael in dieser Woche?

Einem Teenager Informationen aus der Nase zu ziehen hat etwas mit Kunst und Kreativität zu tun. Nicht aufgeben – Stille ignorieren – Geduld haben und dieselben Fragen immer wieder neu und anders formulieren.
Aber Fazit – es war für Nathanael ein echt harter Schritt und eine zutiefst herausfordernde Erfahrung. Er merkt, wie wenig Englisch er kann und versteht, so dass er sich überfordert und falsch vorkommt. Hinzu kommt noch, dass die Lehrer selbst international sind und jeder seinen eigenen Dialekt hat – was das Verstehen noch schwieriger macht.
In Mathe versteht er zwar die Aufgaben und kann sie lösen – aber er kann sie nicht erklären, weil ihm einfach die Fachbegriffe fehlen. Mit den anderen Schülern ist es mit der Verständigung auch nicht so einfach und als Teenager möchte man sich eben keine Blöße geben. Sich nicht erklären können bedeutet, lieber für sich zu sein.

Es ist und war eine harte Woche für ihn. Dass wir von Anfang an große Probleme mit dem Internet haben und er oft nicht in seine Spiele reinkommt, macht es nicht leichter. In dieser Woche war es besonders schlecht. So konnten wir dann eine Aussage von ihm gut verstehen: „Ich sitze 8 Stunden in dieser … Schule, bekomme nichts mit und langweile mich, und das einzige, auf das ich mich freue, funktioniert nicht!“ Da steckt viel Frust drin. Das tut uns als Eltern weh und wir können es so gut nachvollziehen!
Es ist unsere Aufgabe, ihn zu ermutigen und immer wieder aufzubauen. Es ist die erste Woche und mit der Zeit wird es besser – er kommt mehr und mehr in die Sprache rein – versteht – kann sich ausdrücken – er muss sich Zeit geben!
Ja und wir arbeiten an einem funktionierenden und stabilen WLAN. Wir haben uns Hilfe geholt, aber es scheint schwierig zu bleiben – mal sehen …
Heute war Freitag – „Meet the Teacher“ – Elternsprechtag mal anders. die Eltern konnten ab 12 Uhr mit den Lehrern ihrer Kinder sprechen und Dinge klären oder kennen lernen. Wir haben die Chance genutzt, um uns mit dem Klassenlehrer (Asiate) – dem Geschichtslehrer (Sierra Leoner, schwer zu verstehen) und der Englischlehrerin (sehr gut zu verstehen) zu treffen und zu sprechen.
Natürlich ist den Lehrern die limitierte Sprachkenntnis von Nathanael aufgefallen. Am Anfang wussten sie nicht, was er überhaupt kann. Aber in Mathe, erzählte uns der Klassenlehrer, versteht Nathanael die Aufgaben, löst sie, kann sie aber nicht erklären. Nun wird er öfter bei Nathanael sein, um zu gewährleisten, dass er das nötige Vokabular lernt.

Die Englischlehrerin wird demnächst immer wieder mit Nathanael grundsätzliche Sprachregeln und Grammatik durchgehen, wenn die anderen Stillarbeit haben. So will sie helfen, dass er schneller ins Englische hinein kommt. Sie ist sehr kreativ und überlegt, wie sie ihn am besten unterstützen kann. So hat sie heute die Kids eine Geschichte verfassen lassen. Sie sollten dabei verschiedene Charaktere entwickeln. Das konnte Nathanael nicht. Er wusste wohl eine Geschichte, aber nicht wie er sie auf Englisch schreiben soll. Also hat sie ihn an ihrem Rechner die Geschichte auf Deutsch schreiben lassen, diese dann mit einem Übersetzungsprogramm auf Englisch übersetzt und der Klasse vorgelesen. So haben die Kinder gemerkt, wie kreativ Nathanael ist, auch wenn er das zurzeit auf Englisch noch nicht zeigen kann. Davon hat Nathanael später auf der Rückfahrt erzählt. Er war dankbar und fröhlich darüber. Wir auch – so hat zumindest der Freitag für ein paar positive Momente gesorgt. Wir erleben bei den Lehrern Verständnis und Kreativität, auf ihn einzugehen, zu verstehen und helfen zu wollen. Sicher hilft da auch die sehr überschaubare Klassenstärke von sechs Schülern – das gibt dem Lehrer die Gelegenheit, öfter mal bei Nathanael anzuhalten und zu helfen.

Der Start ist gemacht! Auch wenn die erste Woche echt hart war, so hat er sie gemeistert und wir sind stolz auf ihn und dankbar. Wir sind überzeugt, dass er im weiteren Verlauf immer mehr Erfolgserlebnisse haben und besser klarkommen wird.
Wir waren verblüfft, dass Nathanael Französisch hat! Das war uns nicht bekannt und Nathanael hatte noch nie zuvor dieses Fach. Auch das konnten wir ansprechen und nun schauen wir mal und hoffen das Beste. Wir denken, bis zu den Weihnachtsferien wird er schon viel sicherer im Sattel sitzen und vielleicht haben wir bis dahin auch das mit einem stabilen WLAN gelöst.
