Von Mitte Juli bis in den Oktober hinein herrscht hier Regenzeit. Bevor wir kamen haben wir gehört, dass man in dieser Zeit lieber nicht in Sierra Leone sein soll.
Wir persönlich erleben die Regenzeit jedoch im Moment als durchaus OK. Das liegt sicher auch darin begründet, dass wir uns überwiegend auf dem TECT-Campus oder im Haus aufhalten.
Es kann durchaus vorkommen, dass es stunden- und manchmal auch tagelang durchgehend regnet. Wobei letzteres eher die Ausnahme ist und am ehesten von Mitte August bis Mitte September vorkommt. Wir erleben in diesen ersten Wochen längere Phasen von Regen immer wieder unterbrochen mit Trockenheit und Sonnenzeiten.
Wenn es regnet bzw. sich zuzieht, dann verhängen die Wolken den Himmel und die Sonne kann nicht so intensiv strahlen – sprich es wird nicht so heiß und die Temperatur ist erträglich. Sicher die Luftfeuchtigkeit ist dennoch weiter vorhanden (95-100%). Gleichzeitig bringt der Regen öfter auch eine kühle Brise mit sich und so kann man, wenn man sich nicht viel bewegt, ganz gut klar kommen und vor allem nachts besser schlafen – sogar ohne Klimaanlage.
Ist man allerdings unterwegs, ob mit Auto oder zu Fuß, dann ist die Häufigkeit oder Intensität des Regens schon eine echte Belastung. Mitunter sind es monsunartige Regenergüsse, die nicht nur ergiebig sondern auch langanhaltend sind. Das klingt teils, als würde ein ICE durch einen Bahnhof rauschen, nur das der Zug kein Ende hat – in solchen Fällen bleibt man, wenn man hat und kann, lieber Zuhause.
Freetown, die Hauptstadt liegt direkt am Meer und gleichzeitig auf einer recht hügeligen Halbinsel (als Bayer würde Ralf niemals von Bergen sprechen!) Diese Hügel sind mit vielerlei Busch und Bäumen bewachsen. Freetown erstreckt sich – in viele kleine Bezirke unterteilt – bis zu den Nachbarorten, wie Jui einer ist. Und Jui liegt direkt hinter einem der Hügel im Osten von Freetown.

In Freetown liegt in den Hügeln ein großer Nationalpark – der sogenannte Affenberg, der allerdings momentan in der Regenzeit geschlossen ist. Diesen Nationalpark kann man besuchen und hat eine Zufahrt. Will man auf die andere Seite, z.B. ans Meer, dann muss man den Nationalpark komplett umfahren – es gibt keinen direkten Weg hindurch.
So gibt es zwei Wege nach Freetown rein – der eine führt direkt am Meer vorbei und soll meist ziemlich verstopft sein. Der andere ist die Bergstraße – also Hügel rauf und dann wieder runter – der sogenannte Bypass, den wir bisher immer genommen haben und der am „Affenberg“ – Nationalpark vorbeigeht.
Beide dauern mit wenig Verkehr ca. 40 Minuten Downtown. Für uns ist die Bergstraße (Bypass) gut, da Nathanaels Internationale Schule auf diesem Weg liegt und auch ein Einkaufsladen. Und so lernen wir den Weg und die Unbilligkeiten schon mal kennen.
Vor ca. drei Jahren konnte man in den Nachrichten von einem riesigen Erdrutsch bei Freetown lesen, der mehr als Eintausend Menschen das Leben genommen hat. Ein ganzer Hang kam damals in den frühen Morgenstunden ins Rutschen und riss alles mit sich; begrub unter sich auch viele schlafende Menschen. Die Schlammlawine war so massiv, dass dreistöckige Häuser völlig unter ihr begraben waren.
An dieser Stelle kommen wir auf dem Bypass unweigerlich vorbei und kann noch einiges davon wahrnehmen. Während der Regenzeit kann der Boden den heftigen und anhaltenden Regen nicht aufnehmen und da es in weiten Teilen von SL kein Bewässerungs- oder überhaupt Kanalisationssystem gibt, fließen die Wassermassen eben dorthin, wohin sich das Wasser Bahn bricht und nimmt mit, was sich nicht halten kann und das sind mitunter große Mengen an Erde – Steine etc..
Durch die Besiedelung und Rodung von großen Teilen der Hügel verändern sich die Begebenheiten und der Boden kann die Wassermassen nicht halten, schießt ungebremst nach unten. Bei unseren Fahrten auf der Bergstraße können wir in den Tälern sehen, wie viele Häuser – Straßen unter Wasser stehen – überflutet sind.

Wie verheerend sich solche Wassermassen auswirken können, haben wir ja erst letztes Jahr wieder schmerzlich im Ahrtal erleben müssen.
Allerdings ist das hier durch die Regenzeit jährlich ein natürliches Phänomen. Warum Menschen trotzdem dort unten ihre Hütten und Häuser immer wieder bauen bzw. bauen dürfen?!

Ein solches Ausmaß wie vor drei Jahren haben wir Gott sei Dank nicht erlebt. Aber auf unseren Fahrten kommen wir an Stellen vorbei, wo sich Schlammmuränen bis auf die Straße schieben und dadurch den Verkehr und das Leben beeinträchtigen. Nach jedem Dauerregen kommt neuer Dreck hinzu.
Interessant zu sehen ist, dass dann etliche Menschen dort mit einfachsten Geräten (Schaufeln – Besen – Händen) all das aus dem Weg räumen. Wobei viele Menschen da sind und nur zwei-drei tatsächlich arbeiten – fast deutsche Verhältnisse. Aber das liegt wahrscheinlich daran, daß eben Werkzeug fehlt.
In jedem Fall sind es keine Mitarbeiter der Stadt oder des Landes – es sind die Anwohner! Dass die Behörde hier kommt und hilft, scheint eher die Ausnahme zu sein. So ist es auch nicht verwunderlich, dass an einer solchen „Baustelle“ immer wieder andere Menschen mit großen Eimern stehen, um von Vorbeifahrenden eine „Appreciation“ – eine Geste der Dankbarkeit – einzusammeln. Ist zwar freiwillig, aber wir sind dankbar, dass wir die Worte, die uns folgen, nicht verstehen – wenn wir nichts geben. Noch können wir es auf unseren Fahrer schieben ….
Natürlich können wir das sehr gut verstehen, die leisten hier harte Arbeit – für die sie nicht bezahlt werden und es kann sein, dass sie gerade zudem viel verloren haben. Aber wenn Du bei einer Fahrt an der vierten und fünften „Baustelle“ dieser Art vorbeikommst, dann fragen sich schon einige, warum man Steuern zahlt und der Staat nicht zu finden ist, um das ganz normale öffentliche Leben zu gewährleisten?
Einige der Pastoren hier werden immer wieder zu Gemeindegliedern gerufen, um ihnen Trost zu spenden, wenn ihre Wohnungen und Hütten unter Wasser stehen oder fortgespült wurden. Manchen stand das Wasser buchstäblich schon bis zum Hals – in ihrem Haus.

Wir bewundern die Menschen, wie sie mit all den Widrigkeiten umgehen und doch immer freundlich sind. Wir sind Lernende.