Sonntagmorgen – Nach einer langen Anreise bis spät in die Nacht und den typischen Herausforderungen, die Afrika mit sich bringt, haben wir die freundliche Einladung zum Gottesdienst am ersten Tag um 10 Uhr in die Gemeinde des Präsidenten (Downtown Freetown) nicht angenommen. Es wäre bestimmt ein schönes und beeindruckendes Erlebnis geworden – aber ein wenig kann man sich ja noch aufsparen – Rom wurde bekanntlich auch nicht an einem Tag erbaut.
Erstmal etwas Ruhe – Ankommen – Einrichten und Wahrnehmen und vor allem Ausschlafen!
Wir konnten tatsächlich schlafen und wurden sogar mit Gesang geweckt – von solch einer Erfahrung kann sicher nicht jeder berichten. Als wir so um fünf Uhr im Dämmerschlaf überlegten, was und woher denn der Gesang kommt – steht die Campusband vor unserer Tür um uns ein Willkommensständchen darzubringen?
Also während wir noch überlegten, dämmerte uns, dass wir in einem Land mit 80 % Anteil Muslimen leben. Der Muezzin rief orientalisch-exotisch zum Gebet. Auch wenn einer begann, ließen die Nachbarmoscheen nicht lange auf sich warten. Ein Gesangsmischmasch, der unser tägliches Begleitprogramm ist – fünfmal am Tag. Was man überdenken könnte, wäre eine einheitliche Gesangsausbildung, aber vielleicht sind es ja unterschiedliche Schulen mit unterschiedlichen Schwerpunkten – wer weiß das schon. Auch die zeitliche Abstimmung hapert.
Tina beschloss aufzustehen, Ralf drehte sich um und Nathanael bekam gar nichts davon mit – gesegneter Schlaf der Jugend!
Nun ging es ans Auspacken – Platz finden – Einrichten – Raum einnehmen – eben ein Zuhause schaffen.
Auf unserer Tour durchs Haus am Vortag haben wir zwar schon mal alles durchlaufen – aber wirklich wahrnehmen und sich ein Bild machen kam jetzt.
Wie berichtet wurden für uns die zwei Schlafräume mit Klimaanlage eingerichtet. Das Klima ist tropisch – die Temperatur liegt bei ca. 30 Grad – nachts bei 23-26 und dazu kommt eine Luftfeuchtigkeit von 85% bis 100%. Ralf muss nicht viel machen um zu schwitzen – Essen reicht.
Apropos Essen – sie hatten freundlicherweise für uns im Vorfeld eingekauft, damit wir für die ersten Tage etwas haben, bevor wir uns in das Abenteuer Einkaufen stürzen müssen. Wie gesagt es ging um „etwas“ für ein paar Tage.
Wir fanden riesige Mengen – einen großen Sack Reis – einen solch großen haben wir noch nicht mal bei der Metro gesehen – der reicht bestimmt für vier Jahre – Zwiebeln – Kartoffeln – mehrere große Kanister mit Öl zum Kochen und noch manches mehr. Sie haben uns überreich versorgt. Parallel werden wir zu Beginn von der Frau des Rektors bekocht – wunderbar und sehr lecker!
Wofür waren doch gleich die eingekauften ersten Lebensmittel?
Das Haus hat Fenster – Glaslamellen die eigentlich ständig offen sind. Da wir so dicht am Meer liegen, geht immer eine leichte Brise, die wie ein natürlicher Ventilator wirkt. Das ist ganz angenehm, auch wenn alles immer feucht ist – tropisch eben. Wenn die Brise weg ist und die Sonne knallt, wird es unangenehm. Nachteil dabei – alles sehr hellhörig.
Alles in allem haben wir uns das mit dem Klima anstrengender vorgestellt – im Moment geht es! Mal sehen, wie das in den nächsten Tagen und Monaten abseits der Regenzeit wird. Gerade erleben wir die kühlste Zeit des Jahres. Perfekt, um uns an das Klima zu gewöhnen.
Nun gilt es eine Bestandsaufnahme vorzunehmen um zu überlegen, was wir noch brauchen. Dann muss man schauen, woher wir es über wen bekommen – wer uns hilft. Denn allein wird das nichts werden – jedenfalls nicht zeitnah und preislich angemessen! Der „Weißenbonus“!
Wir werden hier wirklich sehr, sehr freundlich aufgenommen und willkommen geheißen. Sie haben viel für uns investiert – wollen es uns angenehm machen – wollen, dass wir bleiben. Bei den wenigen Situationen, in denen wir bereits vorgestellt wurden, kommt immer wieder der kleine aber feine Hinweis – dass wir für mind. vier Jahre – ja aber eigentlich für weit länger bleiben … sollen. Die bisherigen Gespräche und Informationen geben uns den Eindruck, dass hier etwas von ihrer Hoffnung mitschwingt.
Verständlich wird das ein wenig aus der jüngsten Geschichte. Sierra Leone ist für die einen das drittärmste Land – bei anderen rangiert es unter den 10 ärmsten Ländern der Welt. Armut – Korruption – Misswirtschaft – fehlende Bildung und nicht zuletzt die Ausbeutung durch ausländische Investoren. Natürlich brodelt all das und so kam es zu Konflikten und schließlich zum Bürgerkrieg – Rebellen vs. Regierung. Er ging über 10 Jahre, war grausam und menschenverachtend und hatte Tausende von Toten zur Folge. Unzählige internationale Organisationen, Entwicklungshelfer und Missionare waren gegangen und kamen nicht wieder.
Als dann 2014 Ebola ausbrach, gab es erneut in Sierra Leone unzählige Tote und das Abwandern der Internationalen zu beklagen. Auch wenn Covid bei weitem nicht die gleiche Tragweite hat, so ist es ein weiterer Grund, aus Vorsicht nicht nach Sierra Leone zu kommen.
Vor dem Bürgerkrieg wohnten auf dem Campus des TECT (The Evangelical College of Theology) viele ausländische Missionare mit deren Familien, die unterrichteten und das Leben hier mit prägten. Ein ganzer Bereich – mehrere Häuser waren mit ihnen bewohnt. Heute sind wir die einzige Familie aus dem Ausland hier. Ja, es gibt etliche Internationale in Sierra Leone und das ist auch gut so, aber es sind weit weniger als früher.
Wenn Internationale kommen, um zu unterstützen, gibt das den Menschen hier wieder Hoffnung. Es zeigt ihnen nicht vergessen zu sein und sich gemeinsam in den Kampf gegen Armut – mangelnde Bildung – Freundlichkeit und Menschenwürde zu stellen.
Das ist natürlich erstmal nur unsere Wahrnehmung und wir erheben auch nicht den Anspruch, alles in so kurzer Zeit durchschaut zu haben. Vielleicht werden wir manches revidieren – ergänzen – bestätigen – berichtigen – verstehen.
Für jetzt können wir festhalten: Wir spüren und erleben, willkommen und erwartet zu sein. Unsere Herausforderung ist, nicht alles mit den Augen von Europäern zu betrachten und beleuchten – alles funktioniert – irgendwie – eben anders.