Durch die Wahlen im Juni wurde der gesamte Jahresplan der Bildungseinrichtungen nach vorne verlegt. Und so werden nun im Mai alle Hausarbeiten fällig – und natürlich Prüfungen abgelegt.

Auch Christina hat nun jede Menge Hausarbeiten von ihren drei Kursen, die sie korrigieren und benoten darf. Das Lesen macht ihr Freude und sie kann daran erkennen, was alles hängen geblieben ist und verstanden wurde – das ist wirklich schön zu erleben! Allerdings nimmt sie auch anderes wahr. Da wo Leute nur eine der fünf Fragen gelesen und beantwortet haben oder keine Zeit hatten, sich mit dem Inhalt überhaupt auseinander zu setzen. Oft geht die Gemeindearbeit oder der Job vor und das Studium kommt danach – das ist leider grundsätzlich so und zum Teil auch nachzuvollziehen. So verdienen sie ihr Geld für Familie und Studium.
Christina ist immer wieder bereit, noch mal eine Extrameile mit ihren Studenten zu gehen – hier solltest du noch mal nacharbeiten – den Text lesen, zu dem Fragen gestellt wurden; ihn verstehen und dann dementsprechend antworten. Nicht wenig Zeit, die hierbei investiert wird. Oft sitzt sie mit dem jeweiligen Studenten vorm Rechner oder Handy, um all dem nach zu gehen. Manch einer der neuen Studierenden hat noch nie eine Hausarbeit geschrieben und weiß nicht, wie man einen Text analysiert. Dann kann es vorkommen, dass Christina bis zu vier Stunden mit ihm in der Bibliothek verbringt und in mühsamer Kleinarbeit die einzelnen Schritte erklärt.
Die Abschlussklasse hatte Christina gebeten, mit ihnen die Evangelien zu besprechen, um sie auf die Abschlussprüfungen vorzubereiten. Viele der Studenten hatten ihre Evangelien-Vorlesung bereits vor drei Jahren und wollten ihr Wissen auffrischen. Sie waren sich unsicher, ob sie den Prüfungen gewachsen sein würden. Gerne war Christina dazu bereit und so saßen sie dann – die ganze Abschlussklasse – am Samstag im Unterrichtsraum, um das Material durchzuarbeiten.

Nach der Prüfung kamen die Studenten freudestrahlend auf sie zu, um sie dankbar zu informieren, dass zwei Prüfungsfragen dran kamen, die sie mit Christina besprochen hatten – ein Geschenk. Denn natürlich hat auch Christina keine Ahnung welche Themen und Fragen dann wirklich abgefragt werden.
Kurios ist, die unterschiedlichen Stile des Arbeiten – Lernen und Denkens in verschiedenen Ländern zu erleben. Die meisten hier haben keinen Computer oder Laptop, sondern nutzen ihr Handy zum Lernen bzw. um Hausarbeiten zu schreiben.
Es gibt große Unterschiede – manche sind exzellente Denker und Theologen und andere haben grundsätzlich Schwierigkeiten, Zusammenhänge oder biblische Inhalte zu erfassen. Andere haben ein derart rudimentäres Englisch, dass sie ihre Hausarbeiten kaum gestemmt bekommen, geschweige denn in eine akademische Form bringen können.
Die meisten Studierenden müssen neben dem Studium arbeiten und haben Familien – so hören wir immer wieder, dass sie die Abend- und Nachtstunden zum Lernen verwenden. So sind in den Prüfungswochen überall auf dem Campus verstreut Studierende am Lernen – bis in den frühen Morgenstunden. Als Ralf bei einem Gewitter aufstand, um die Vorhänge etwas zu schließen um den Regen draußen zu halten, sah er wie einer der Studenten sich schützend unter unserem Carport gestellt hatte und lernte – um 2 Uhr morgens. Das ist kein Einzelfall, sondern normal. Die Abgänger trafen sich jeden Abend gegen 22 Uhr und lernten gemeinsam in der Mensa bis zum Sonnenaufgang – auch in der Nacht vor der Prüfung. Schlaf wird hier nicht ernstgenommen. Man legt sich eben nach der Prüfung für einige Stunden hin, bevor man dann in den nächsten Nächten wieder für die nächste Prüfung weiterlernt.
Ebenfalls befremdlich ist der Umgang mit ethischen bzw. christlichen Grundsätzen. Wiederholt entdeckte Christina, dass einzelne Studierende voneinander abgeschrieben haben. Also ganze Passagen – wenn nicht die gesamte Hausarbeit – waren bei mehreren Studenten identisch. Andere haben Texte aus dem Internet eingefügt, jedoch nicht als Zitat gekennzeichnet. Die gesamte Antwort einer Frage bestand aus einem „fremden“ Text, der so geschwollen und kompliziert war, dass sich Christina sicher war, dass der Student gar nicht verstand, was er da schrieb (es war theologisch höchst fragwürdig!) – Plagiarismus. Noch gar nicht so lange her, da haben wir Deutsche uns in der Öffentlichkeit ausgiebig mit diesem Thema empört – geht ja gar nicht!
Auch hier ist es für ein akademisches und wissenschaftliches Arbeiten nicht in Ordnung und soll geahndet werden – also die Arbeit wird so nicht angenommen und muss neu geschrieben werden. Man könnte den Studenten sogar der Uni verweisen und landesweit für akademisches Arbeiten sperren.

In einem Kurs hatte sie es schwarz auf weiß, dass ein Erstsemester von einer Mitstudentin abgeschrieben bzw. deren Arbeit in weiten Teilen kopiert hat.
Es fällt Frau Dozentin nicht leicht, in eine offene Konfrontation einzusteigen. So überlegte sich Christina ein überzeugendes und hilfreiches Vorgehen. In einem persönlichen Gespräch teilte sie dem Studenten mit, dass beide Arbeiten identisch sind und somit offenkundig ist, dass hier kopiert wurde. Auch ihr Verdacht, dass er bei seiner Kollegin abgeschrieben habe und nun die Arbeit nicht angenommen wird, sondern neu geschrieben werden muss.
Der Student bestritt das Kopieren oder Abschreiben nicht, aber beharrte darauf, dass die Kollegin von ihm abgeschrieben habe. Was überhaupt keinen Sinn macht, da er Anfänger ist, sie jedoch bereits im letzten Semester mühelos exzellent theologisch arbeiten konnte. Sie ist eine hervorragende Studentin. Doch er beharrte stur auf seiner Aussage. Gut, dann wollen wir im nächsten Schritt die Studentin dazu holen, aber erst noch etwas anders versuchen.
Muss ich erwähnen, dass es sich hierbei um angehende Pastoren handelt?

In der hiesigen Kultur ist Lügen und die Unwahrheit kein Thema – nun ja, aus unserer Sicht ist es ein echtes Thema! Es geschieht hier immer wieder und scheint sozial akzeptiert. Niemand regt sich darüber auf, auch in Gemeinde nicht. Solange man nicht erwischt wird, scheint Lügen völlig in Ordnung zu sein. Selbst wenn man erwischt wird, bestreitet man es vehement und ist regelrecht aufgebracht ob der Unterstellung. Oft sind es gerade auch Personen in Amt und mit Macht.
Deshalb hatte Christina einige Bibelstellen zu diesem Thema herausgesucht, um nun mit dem Studenten darüber ins Gespräch zu kommen und Gottes Perspektive oder die Sicht der Bibel zum Thema Unwahrheit zu beleuchten.
Nach guten 30 Minuten bedankte sich der Student für das interessante Thema und wollte die Bibelstellen gern haben. Am nächsten Tag kam er erneut auf sie zu und fragte, was das denn mit ihm zu tun habe?!??? Habe ihr jemand erzählt, er sei ein Lügner? Er konnte es wirklich nicht einordnen.
Also noch mal von vorne und small small – Christina war wichtig, hier einen Doppelpunkt zu setzen, da ihre Studierenden zum größten Teil PastorInnen und Leiter von Gemeinden sein werden. Wir haben eine Vorbildfunktion. Wie wollen wir Menschen zum Guten anleiten, wenn wir selber nicht entsprechend leben?

Das ist in der hiesigen Kultur ein echtes Hindernis. Selbst wenn diesen Textstellen absolut zugestimmt und ihre Richtigkeit bejaht wird, so hat das mit dem eigenen Lebensvollzug wenig zu tun – Unehrlichkeit – Lügen – Betrug sind normal – das macht man eben so. In der Tat geht das von oben nach unten und wird auf jeder Ebene so erfahren und erlebt. Unehrlichkeit und Lüge sind gerade unter denen normal, die Autorität aufgrund ihrer Machtposition haben. Diese dürfen auch bei offensichtlichem Fehlverhalten nicht offen kritisiert oder in Frage gestellt werden – sie sind ja Leiter!
Wie also sollen junge Leiter und Leiterinnen, die zutiefst von dieser Kultur geprägt sind, hier anders leben – das ist äußerst schwer – weil normal! Christina spricht zunehmend von der „Jesus-Kultur“. Das Reich Gottes lebt nach anderen Maßstäben. Sie möchte nicht die europäische Kultur einführen, sondern auf das hinweisen, was wir in der Bibel finden.
Wir merken, wie wichtig es ist, über geistliche Leiterschaft zu arbeiten. Hierzu möchten wir in Zukunft Impulse setzen. Aufgrund der ausgeprägten Hierarchie stehen hier Leiter über allen anderen. Es gibt kein Korrektiv, niemandem, dem man gegenüber für seine Arbeit und sein Leben Rechenschaft ablegen muss. Das birgt immense Gefahren. Viele dieser Leiter erleiden Schiffbruch, werden aufgrund von frappierendem Fehlverhalten (z.B. durch Veruntreuung von Geldern zur persönlichen Bereicherung oder offenem Ehebruch mit Gemeindegliedern) unglaubwürdig und scheiden teilweise vorzeitig aus. Wobei hier jemand mit solchem Verhalten nicht automatisch „gehen muss“, wie wir es aus Deutschland kennen. Man klammert sich an seine Macht und die Untergebenen können wenig dagegen tun.
In jedem Fall ist deutlich, das der Transfer von Gottes Wort ins eigene Leben nicht leicht ist – aber wie war das noch mit dem Splitter und dem Balken?!
Ach ja: Im gemeinsamen Gespräch mit der Studentin bestätigte sie, dass nicht sie dem Neuling, sondern er ihr geholfen habe. Das muss man, so unglaublich und unlogisch es ist, hinnehmen. Wir verbuchen es unter falsch verstandener Loyalität – aber gut – nun dürfen beide ihre Arbeiten neu schreiben. Sie haben sich persönlich entschuldigt und wir hoffen, dass sie etwas daraus gelernt haben.

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