Beerdigung
Die Anfahrt zur Peace Baptist Church ist wie zu den meisten Gemeinden hier holprig und abenteuerlich. Alle Wege, die von den Hauptstraßen abgehen, sind nicht eben, sondern meist steil – kaputt – löchrig und bedürfen eines Geländefahrzeuges.

Seit wir in der Gemeinde aufgetaucht sind, haben wir stets eine ältere Pastorin im Anschluss von der Gemeinde zur Hauptstraße mitgenommen. Sie ist nicht gut zu Fuß und so war es für sie eine enorme Erleichterung, mit uns diese Strecke zurück zu legen und so ist sie immer nach dem Gottesdienst mit uns mitgeschaukelt. Dadurch haben wir auch etwas mehr über sie persönlich erfahren. Sie hat zwei Töchter, die beide in Freetown wohnen. Die eine hat einen Sohn, der aber bei ihr (der Oma) lebt und um den diese sich kümmert. Die andere Tochter ist eine Dialysepatientin, die jede Woche eine Behandlung benötigt, die 1.500 Leones kostet – hier ein kleines Vermögen. Sie ist von Beruf aus bei der Polizei und dadurch ist sie ein wenig besser gestellt als die meisten hier. Sie wird im Militärkrankenhaus versorgt, muss aber komplett selber für die Behandlungskosten aufkommen. Das ist für die gesamte Familie eine enorme Belastung, die nicht immer rechtzeitig gewährleistet werden konnte. So war es in diesen Wochen immer wieder ein ständiges Wechselbad der Gefühle von Gebetskampf und Erhörung.

Vor sechs Wochen ist sie im Alter von 44 Jahren verstorben – nichts, was hier noch gemacht werden konnte. Die Nachricht von ihrem Tod und dem weiteren Ablauf wurde in den Gottesdiensten und Gemeindegruppen weitergegeben. Die Beerdigung sollte in der Gemeinde der Tochter, der Emmanuel Baptist Church in Freetown stattfinden – acht Wochen nach Eintritt des Todes. Warum das hier so lange dauert, erschließt sich uns nicht. Bei den Moslems geht das fast noch am selben Tag – bei den Christen dauert es länger.
Als Gemeindefamilie versucht man dabei zu sein und seine Anteilnahme zu bezeugen. So auch wir für die Mutter, die den Verlust ihrer Tochter zu betrauern hatte. Ein Todesfall ist ja schon schmerzhaft genug, aber als Eltern sein eigenes Kind beerdigen zu müssen, ist gefühlsmäßig nicht richtig – also traumatisch.

Die Beerdigung sollte an einem Dienstag um 13 Uhr stattfinden. So machten wir uns gegen 12 Uhr auf den Weg. Der Sarg stand offen direkt vor der Eingangstür des Gemeindegebäudes aufgebahrt. Das ist für uns befremdlich – für unsere Nasen irritierend und kulturell sehr anders. Ob man nun wollte oder nicht, um in den Gottesdienstraum zu kommen, durfte man am offenen Sarg vorbei – aber so ist das hier üblich.
Jeder bekam einen Ablauf (edle Farbkopie mit Erinnerungsbildern der Verstorbenen) und eine kleine Ansteckplakette ebenfalls mit Bild in die Hand gedrückt. Der Saal war brechend voll. Als wir eintraten, fanden wir nur noch in der letzten Reihe für uns beide Platz. Das war für Ralf ganz in Ordnung, da er ohnehin kurz nach 14 Uhr los musste, um Nathanael von der Schule abzuholen. Erfahrungsgemäß war die Beerdigung um diese Zeit längst noch nicht fertig.

Aber wir fallen auf – richtig, wegen unserer Schönheit – also kam ganz schnell von vorn einer der Pastoren angelaufen und forderte uns auf, auf dem Podium Platz zu nehmen. Wir hatten nichts mit dem Ablauf oder im Ablauf zu tun, aber wenn Pastoren anwesend sind, dann gehören sie aufs Podest. Ralf erklärte kurz, warum er hinten bleiben würde und Christina machte sich auf den Weg, um den Gipfel der Aufmerksamkeit zu ersteigen. Wir versuchen es zu vermeiden, wenn es geht, aber haben uns inzwischen daran gewöhnt, notfalls angestarrt zu werden. Während des Gottesdienstes überlegte Christina, für welchen Punkt sie evtl. spontan eingeplant würde – man weiß hier nie. Dankbarerweise waren derart viele Pastoren und Pastorinnen anwesend, dass eine aktive Beteiligung nicht nötig war.
Der Gottesdienst begann pünktlich. Alles beginnt damit, dass sämtliche Pastoren vom Podium aus zum Ausgang gingen. Dort wurde nach einem Lied und Gebet der Sarg geschlossen. Anschließend wurde er vorn in die Gemeinde geschoben, gefolgt von den Pastoren, die diese feierliche Prozession mit tröstenden Bibelversen anreichern. Christina versuchte sich an den englischen Wortlaut ihres Lieblingspsalmes zu erinnern, aber sie war so weit hinten, dass sie (Gott sei Dank!) nicht mehr drankam. Der Weg bis zum Podium war zu kurz. Neben dem Sarg stellten sich zwei Personen als „Wache“ auf, die während der Beerdigung regelmäßig abgelöst wurden. Dies gilt als besondere Ehre und wird von engen Freunden, Berufskollegen oder Familienmitgliedern gemacht.

Nun begann der Gottesdienst mit tröstenden Worten eines Pastors, der alle begrüßte und vor allem die Familie ermunterte, sich auf die Hoffnung der Ewigkeit auszurichten. Nach einer Hymne und Gebet wurde vier Personen Raum gegeben, um von der Verstorbenen zu erzählen – ein Familienmitglied – ein Gemeindeglied – eine Berufskollegin und eine enge Freundin. Es waren sehr persönliche Momente, die ein Bild von der Verstorbenen malten. Hier kamen viele Emotionen zum Ausdruck.
Nach einem weiteren Lied vom Chor kam die Predigt, gefolgt von musikalischen Beiträgen unterschiedlicher Gruppen. Nach den Bekanntmachungen, wie es weiter geht und dem Segen kamen die Sargträger und alles wurde zum Transport zum Friedhof vorbereitet.

Der Sarg wurde im Schritttempo im Auto transportiert. Die Trauergesellschaft ging hinterher, gesäumt von einer Militärkapelle. Gegen 16 Uhr machte sich Christina mit einem Kollegen auf den Rückweg zum T.E.C.T. – mit einem dreirädrigen Keke. Die ganze Strecke von Freetown nach Jui – das ist ein Spaß und wunderbares Fahrgefühl, man hat kühlen Fahrtwind und leider auch viele Abgase. Gleichzeitig konnte Christina ihren „Head of Department“ (Leiter) von Theologie fragen, wie er eine Prüfungsfrage meint, denn er saß neben ihr und konnte nicht verschwinden. So war ihr möglich, den Studierenden noch besser in der Vorbereitung auf die Examen zu helfen.
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