Beerdigung 04/2023

Beerdigung

Die Anfahrt zur Peace Baptist Church ist wie zu den meisten Gemeinden hier holprig und abenteuerlich. Alle Wege, die von den Hauptstraßen abgehen, sind nicht eben, sondern meist steil – kaputt – löchrig und bedürfen eines Geländefahrzeuges.

Wie war das mit dem schmalen und dem breiten Weg

Seit wir in der Gemeinde aufgetaucht sind, haben wir stets eine ältere Pastorin im Anschluss von der Gemeinde zur Hauptstraße mitgenommen. Sie ist nicht gut zu Fuß und so war es für sie eine enorme Erleichterung, mit uns diese Strecke zurück zu legen und so ist sie immer nach dem Gottesdienst mit uns mitgeschaukelt. Dadurch haben wir auch etwas mehr über sie persönlich erfahren. Sie hat zwei Töchter, die beide in Freetown wohnen. Die eine hat einen Sohn, der aber bei ihr (der Oma) lebt und um den diese sich kümmert. Die andere Tochter ist eine Dialysepatientin, die jede Woche eine Behandlung benötigt, die 1.500 Leones kostet – hier ein kleines Vermögen. Sie ist von Beruf aus bei der Polizei und dadurch ist sie ein wenig besser gestellt als die meisten hier. Sie wird im Militärkrankenhaus versorgt, muss aber komplett selber für die Behandlungskosten aufkommen. Das ist für die gesamte Familie eine enorme Belastung, die nicht immer rechtzeitig gewährleistet werden konnte. So war es in diesen Wochen immer wieder ein ständiges Wechselbad der Gefühle von Gebetskampf und Erhörung.

Der Weg aus dem Gemeindesaal – relativ steil – vorne Reverend Margret Roberts

Vor sechs Wochen ist sie im Alter von 44 Jahren verstorben – nichts, was hier noch gemacht werden konnte. Die Nachricht von ihrem Tod und dem weiteren Ablauf wurde in den Gottesdiensten und Gemeindegruppen weitergegeben. Die Beerdigung sollte in der Gemeinde der Tochter, der Emmanuel Baptist Church in Freetown stattfinden – acht Wochen nach Eintritt des Todes. Warum das hier so lange dauert, erschließt sich uns nicht. Bei den Moslems geht das fast noch am selben Tag – bei den Christen dauert es länger.

Als Gemeindefamilie versucht man dabei zu sein und seine Anteilnahme zu bezeugen. So auch wir für die Mutter, die den Verlust ihrer Tochter zu betrauern hatte. Ein Todesfall ist ja schon schmerzhaft genug, aber als Eltern sein eigenes Kind beerdigen zu müssen, ist gefühlsmäßig nicht richtig – also traumatisch.

Die sechsseitige Broschüre

Die Beerdigung sollte an einem Dienstag um 13 Uhr stattfinden. So machten wir uns gegen 12 Uhr auf den Weg. Der Sarg stand offen direkt vor der Eingangstür des Gemeindegebäudes aufgebahrt. Das ist für uns befremdlich – für unsere Nasen irritierend und kulturell sehr anders. Ob man nun wollte oder nicht, um in den Gottesdienstraum zu kommen, durfte man am offenen Sarg vorbei – aber so ist das hier üblich.

Jeder bekam einen Ablauf (edle Farbkopie mit Erinnerungsbildern der Verstorbenen) und eine kleine Ansteckplakette ebenfalls mit Bild in die Hand gedrückt. Der Saal war brechend voll. Als wir eintraten, fanden wir nur noch in der letzten Reihe für uns beide Platz. Das war für Ralf ganz in Ordnung, da er ohnehin kurz nach 14 Uhr los musste, um Nathanael von der Schule abzuholen. Erfahrungsgemäß war die Beerdigung um diese Zeit längst noch nicht fertig.

Der Eingang in den Gemeindesaal mit dem offenen Sarg

Aber wir fallen auf – richtig, wegen unserer Schönheit – also kam ganz schnell von vorn einer der Pastoren angelaufen und forderte uns auf, auf dem Podium Platz zu nehmen. Wir hatten nichts mit dem Ablauf oder im Ablauf zu tun, aber wenn Pastoren anwesend sind, dann gehören sie aufs Podest. Ralf erklärte kurz, warum er hinten bleiben würde und Christina machte sich auf den Weg, um den Gipfel der Aufmerksamkeit zu ersteigen. Wir versuchen es zu vermeiden, wenn es geht, aber haben uns inzwischen daran gewöhnt, notfalls angestarrt zu werden. Während des Gottesdienstes überlegte Christina, für welchen Punkt sie evtl. spontan eingeplant würde – man weiß hier nie. Dankbarerweise waren derart viele Pastoren und Pastorinnen anwesend, dass eine aktive Beteiligung nicht nötig war.

Der Gottesdienst begann pünktlich. Alles beginnt damit, dass sämtliche Pastoren vom Podium aus zum Ausgang gingen. Dort wurde nach einem Lied und Gebet der Sarg geschlossen. Anschließend wurde er vorn in die Gemeinde geschoben, gefolgt von den Pastoren, die diese feierliche Prozession mit tröstenden Bibelversen anreichern. Christina versuchte sich an den englischen Wortlaut ihres Lieblingspsalmes zu erinnern, aber sie war so weit hinten, dass sie (Gott sei Dank!) nicht mehr drankam. Der Weg bis zum Podium war zu kurz. Neben dem Sarg stellten sich zwei Personen als „Wache“ auf, die während der Beerdigung regelmäßig abgelöst wurden. Dies gilt als besondere Ehre und wird von engen Freunden, Berufskollegen oder Familienmitgliedern gemacht.

Wie eine Anstecknadel zum Anstecken gemacht

Nun begann der Gottesdienst mit tröstenden Worten eines Pastors, der alle begrüßte und vor allem die Familie ermunterte, sich auf die Hoffnung der Ewigkeit auszurichten. Nach einer Hymne und Gebet wurde vier Personen Raum gegeben, um von der Verstorbenen zu erzählen – ein Familienmitglied – ein Gemeindeglied – eine Berufskollegin und eine enge Freundin. Es waren sehr persönliche Momente, die ein Bild von der Verstorbenen malten. Hier kamen viele Emotionen zum Ausdruck.

Nach einem weiteren Lied vom Chor kam die Predigt, gefolgt von musikalischen Beiträgen unterschiedlicher Gruppen. Nach den Bekanntmachungen, wie es weiter geht und dem Segen kamen die Sargträger und alles wurde zum Transport zum Friedhof vorbereitet.

Von Vorne sieht man einfach besser

Der Sarg wurde im Schritttempo im Auto transportiert. Die Trauergesellschaft ging hinterher, gesäumt von einer Militärkapelle. Gegen 16 Uhr machte sich Christina mit einem Kollegen auf den Rückweg zum T.E.C.T. – mit einem dreirädrigen Keke. Die ganze Strecke von Freetown nach Jui – das ist ein Spaß und wunderbares Fahrgefühl, man hat kühlen Fahrtwind und leider auch viele Abgase. Gleichzeitig konnte Christina ihren „Head of Department“ (Leiter) von Theologie fragen, wie er eine Prüfungsfrage meint, denn er saß neben ihr und konnte nicht verschwinden. So war ihr möglich, den Studierenden noch besser in der Vorbereitung auf die Examen zu helfen.

2 Antworten zu „Beerdigung 04/2023”.

  1. Avatar von BETTINA SCHREIBER-SCHULZ
    BETTINA SCHREIBER-SCHULZ

    Lieber Ralf,

    Hier in Israel beerdigen wir Juden in der Regel am Todestag, es sei denn – wie bei meinem Mann, daß er am Shabbat heimgerufen wurde. Da dann nicht alle Verwandten und Freunde an der Beerdigung teilnehmen können, lädt man nach 30 Tagen zur Asskara – Gedenkfeier – ein. Und so haben auch die Verwandten aus Übersee die Möglichkeit, zu kommen! Vorausgeht das acht-tägige ‘Shiv’a – Sitzen! Während acht Tagen kommen ab dem Todestag Verwandte, Freunde und Kollegen, um der Familie Ihr Beileid zu zeigen.

    Es war sehr schwierig, für meinen nicht-jüdischen Mann einen Friedhof zu finden, der bereit war, ihn zu beerdigen. Der zwölfte Friedhof in ca. 1,5 Autostunden Entfernung war bereit, meinen Mann selig aufzunehmen, da sie den Friedhof gerade vergrößerten. Auf diesem Friedhof gibt es zwei Gräberfelder – eines für Juden und eines für Christen. (Der nähere christlich-arabische Friedhof hatte sich verweigert, da sie nur Familienmitglieder der einzelnen Clans aufnehmen.)

    Gott war sehr gütig. Anfangs hatte ich keinerlei Beziehung zu diesem Friedhof. Aber während des Shiv’a-Sitzens kam mein Nachbar im Altenheim zu mir und sagte, daß seine Frau seit einem halben Jahr dort liege – und es ein schöner Friedhof sei. Das tröstete mich sehr und so konnte ich dieser einzigen Möglichkeit, ihn nach seinem Wunsch in Israel zu beerdigen, zustimmen. Ich war dann gefragt worden, ob ich einen ‘Luxussarg’ für Alfie haben wolle. Nein, den einfachsten. So kam er in eine ganz einfache Sperrholzkiste – eingewickelt in den blau-weißen Gebetsschal, welchen ich ihm einen Monat zuvor in Yeruschalayim geschenkt hatte.

    Und es war eine sehr schöne Beerdigung. Mitte Dezember 2010 schien die Sonne herrlich und die Besucher saßen auf Stühlen unter einem großen Baum in der Nähe des offenen Grabes. Ich konnte am halboffenen Sarg meines Mannes stehen und meine Hand lag während der Predigt auf Hebräisch und der Übersetzung ins Englische auf seinem Kopf. (Geruch gab es keinen, da der Körper tiefgefroren war.) Wir sangen die hebräischen Lieder, die ich zuvor ausgewählt hatte. Da Alfie so schnell im Schlaf gestorben war, fand ich inneren Frieden durch dieses Abschiednehmen.

    Dann wurde der Sarg auf dem Rollwagen zum nahen Grab gefahren und hinabgelassen und wir schaufelten die Erde darüber. Ein Holzkreuz war vorbereitet mit allen Vornamen Alfie’s und seinem Familiennamen: Alfred Ernst Adolf Schulz! Ich war erschüttert – ich war nicht imstande zu erklären, daß Alfie die Namen seiner beiden Großväter bekommen hatte. Die Familie war im 18. Jahrhundert aus dem Salzburger Raum – wo dieser Vorname Adolf üblich war – nach Ostpreußen ausgewandert. Nie war ich so dankbar über einen Blumenstrauß meiner englischen Freundin, den ich dann vor dieses Holzkreuz in die Erde steckte. Wir hatten zwei Kränze – einen von mir und einen vom Altenheim. Nach der Beerdigung sprach ich auch am Grab und erklärte unseren Freunden, wie Gott uns nach Israel und in den Dienst unter Holocaust-Überlebenden geführt hatte. Die Friedhofsmitarbeiter waren so bewegt von der Beerdigung, daß sie sagten, so etwas Schönes hätten sie noch nicht erlebt. Ich hatte unseren messianisch-jüdischen Pastor gebeten, auch über die Ewigkeit zu predigen.

    Nach Alfie’s schwerem Unfall in Bonn 1990 war er sieben Wochen bewußtlos und hatte eine Hühnerei große Blutung im Gehirn und war halbseitig gelähmt. Aber Gott hatte mein Gebet erhört, ihm 15 weitere Lebensjahre wie König Hiskia zu geben. Und als diese sich dem Ende zuneigten, bat ich um weitere 5 Jahre. Zu diesem Zeitpunkt wußten wir, daß sich die Spätfolgen des Unfalls zeigten und so bat ich den HERRN – es so zu machen, wie es für Alfie am besten sei.

    Der HERR hat ihn auf den Monat genau die erbetenen 15+5 Jahre überleben lassen. Und nach 15 Jahren führte ER uns nach Israel. Und ER erhörte zwei von Alfie’s drei Gebeten – er wurde in Israel beerdigt und ich war bei ihm in seiner Todesstunde. Er hatte auch gebeten, daß ich nicht zu lange nach ihm komme – aber im Himmel gelten offenbar andere Zeiten. Nun sind wir im dreizehnten Jahr seit seinem Heimgang. Aber ich bin sicher, daß es Alfie besser als je zuvor geht und er sich nicht einsam – sondern vollendet fühlt. Und dafür bin ich dankbar!

    Nach dreißig Tagen bei der Asskara – sprachen und sangen wir noch einmal. Und auf unseren beiden Gräbern sind zwei Bibeln. Auf Alfie’s Bibel stehen die Worte des 122. Psalms, Vers 1 in Deutsch und bei mir in Hebräisch: ‘Samachti be omrim li Beit Adonai nelech!’ Und dann haben wir das Urchristenzeichen – die Menorah mit dem Fisch, die in der Mitte den Davidstern ergeben – auf beiden Gräbern. Dieses Zeichen fand Ludwig Schneider, der verstorbene Gründer und Herausgeber vom Israel heute Magazin, auf einer 2000 Jahre alten Empore in Yerushalayim.

    So viel für heute aus Nahariya – unser Ladies Prayer Meeting in meiner Wohnung mit acht Frauen aus sieben Ländern von vier Kontinenten über den Hl. Geist war erfrischend.

    Nächste Woche kommen Freunde von Ebenezer in Hamburg, die seit 30 Jahren Holocaust-Überlebenden helfen, Aliyah zu machen, zu Besuch. Sie waren letzten Monat noch in Polen, wo sie den Sederabend mit jüdischen Flüchtlingen aus der Ukraine feierten und fuhren dann mit Hilfsgütern in die Ukraine.

    Und z.Zt. habe ich eine Amerikanerin zu Besuch, die mich wissen ließ, daß z. Zt. über 5 Mio. Menschen täglich für Israel beten und fasten. Das ist für uns eine große Ermutigung, denn die tägliche Bedrohung durch den Iran (bald wird dieser über Atomwaffen verfügen) und seine Stellvertreter – Hamas, Hisbollah, Dschihad, Jemen etc. – ist hier einfach präsent. In Teheran steht eine Uhr auf dem sogenannten Palästinenserplatz, auf der die Jahre und Zeiten bis 2030 gezählt wurde – bis zu dem Israel vernichtet wäre – aus iranischer Sicht! Die Uhr blieb allerdings vor Jahren stehen – und nun weiß ich nicht, ob sie wieder läuft!

    Aber ich bin Gott für den tieferen inneren Frieden sehr dankbar, den ich erstmals empfunden habe, als wir ab 2007 im Altenheim in Nahariya wohnten! Und seither durfte ich in diesem Frieden bleiben – auch als kürzlich die Bomben aus dem Libanon uns nur zehn Kilometer entfernt von Nahariya trafen.

    Möge der HERR Euch weiter so zum Segen einsetzen und möge auch die Zeit in Sierra Leone für Nathanael sein ganzes Leben prägen und ihm Gottes Wege für ihn ganz deutlich werden lassen!

    Herzliche Grüße

    Eure Betty

    Von meinem iPhone gesendet

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    1. Liebe Bettina,
      vielen Dank für Deine Rückmeldung und Beschreibung wie Beerdigungen in Israel stattfinden und deine ganz persönliche Erfahrung – wow – das ist eindrücklich und bewegend. Das Friedhofsarbeiter bewegt wurden und über die Auferstehungshoffnung hören wollten, ist super genial – das habe ich in D noch nie erlebt. Manche waren bewegt und sehr angetan, aber keiner wollte mehr davon hören oder reden – schön, daß du das so erleben durftest.

      Israel war schon immer ein Zankapfel oder Dorn im Fleisch ihres Umfeldes und das wird sich auch nciht mehr ändern. Aber genauso wenig ändert sich, daß Gott der Herr lenker der Geschichte und Geschicke ist – er hat alles in der Hand und nichts entgleitet ihm und wie er sagte, ist Israel sein Augapfel – er hat es im Blick im Herz und diese Verheißung bleibt.

      So sind Zahlen udn Daten für mich oft nciht mehr, als menschliche Möglichkeiten um Dinge die zu groß erscheinen im Griff zu haben. Der Herr weiß Zeit und Stunde – kein Mensch – und es geschieht nach seinem Plan – nciht nach dem eines Menschen – das hilft mir gelassen zu sein und ob all dem die Ruhe zu bewahren.

      Danke Bettina das wünschen wir dir auch und ich lese das durchaus heraus – du bist ein Segen für die Menschen zu denen Gott dich gestellt hat – möge der Herr dir das weiter schenken.
      Gott befohlen
      Ralf

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