Wie unter der Woche üblich, fährt Ralf kurz vor 14 Uhr los, um Nathanael von der Schule in Freetown abzuholen, die um 15 Uhr Schluss hat. Die Schule liegt an einer der Hauptrouten in die Innenstadt von Freetown. Es gibt jeweils zwei Fahrspuren den Berg rauf bzw. nach Downtown runter.

Diese Dame hier ist jeden Tag von Montag bis Freitag am Mittelstreifen von unten nach oben um den Dreck wegzuputzen. Sie ist nicht angestellt, bekommt kein Geld – es ist ihr Job – hochgefährlich und weil sie meist gebückt dort putzt sehr spät zu sehen ist.
Wenn Nathanael zur Schule gebracht wird, fahren wir meist um 7 Uhr los und sind in der Regel 7.45 Uhr an der Schule. Man biegt von der Hauptstraße links ab und über eine kurze Auffahrt auf das Schulgelände. Am Ende ist ein kleiner Kreisel. Dort werden die Kinder aus dem Auto in Empfang genommen – Fieber gemessen und in ihre Klassen geschickt. Da nicht alle zur gleichen Zeit ankommen, geht es morgens reibungslos und ohne Wartezeiten.

Am Nachmittag sieht das anders aus. Kindergarten und Grundschule beenden ihren Unterricht um 15 Uhr, die weiterführende Schule um 15.10 Uhr. Jedes Kind wird mit dem Auto abgeholt, in der Regel von angestellten Fahrern und nur ein paar wenigen Eltern. Durch die Entfernung zwischen Schule und Wohnort und den Verkehr lässt sich eine genaue Fahrzeit nur schwer sagen. Zudem wird das Tor zur Schule erst Punkt 15 Uhr geöffnet und vorher wird niemand reingelassen.

Alle wollen die Kinder nach einem anstrengenden und langen Schultag pünktlich abholen und in Empfang nehmen und so muss man eben warten. Doch vor dem Schulgelände gibt es keine Parkplätze und auch auf dem Gelände nur vier Stück.
So wird einfach die rechte Seite der zweispurigen Stadtstraße direkt vor der Schule zum Parken benutzt. In der Zeit von 14 bis 15 Uhr parken hier etliche Autos und warten in einer Schlange, bis sich das Tor um 15 Uhr öffnet. Auf ein Signal des Parkwächters fährt dann die erste Gruppe von Autos auf das Gelände, die Schlange bewegt sich nach vorne, und wenn die erste Gruppe abgefertigt ist, also die Kinder an Bord hat, verlässt sie das Schulgelände wieder. Dann kommt die nächste Gruppe Autos rein usw.

Je nachdem, an welcher Stelle in der Schlange man steht, wartet man etwas länger. Und da hier alles immer etwas anders abläuft, gibt es auch Interessantes zu erleben und zu bestaunen – wenn mal wieder ein Auto von ganz hinten an allen vorbei direkt zum Tor durchfahren will – oder der Fahrer des wartenden Autos vor einem noch beim Getränkestand an der Ecke schwatzt und nicht einsatzbereit ist. Chaos dein ständiger Begleiter.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Schulen nicht zur gleichen Zeit ihren Unterricht beenden. So haben Kindergarten und Grundschule um 15 Uhr Schulschluss, die weiterführende Schule beendet aber erst um 15.10 Uhr den Unterricht. Du denkst, ist doch nicht tragisch?

Wie gesagt, alle abholenden Autos stehen nun in der langen wartenden Schlange, ohne Unterschied was für ein Kind aus welcher Einrichtung sie abholen. Wenn man also vorne in der Schlange steht und mit der ersten Gruppe auf das Gelände fährt, um ein Kind aus der weiterführenden Schule abzuholen, ist dieses noch nicht da, weil der Unterricht erst um 15.10 Uhr endet. Wartet man parkend – was man nicht darf – so hält man alle anderen auf – nichts bewegt sich mehr. Der kleine Parkplatz ist eh schon überfüllt und bietet somit auch keine Lösung und wenn dann dort statt der vier Autos nun sieben neben- an- übereinander geschichtet sind, ist es äußerst schwer, da wieder rauszukommen.
Logisch wäre ja, wenn alle Schulen zur selben Zeit ihren Unterricht beenden. Oder wenn das Tor erst um 15.10 Uhr auf macht – aber was ist schon logisch.
Du sagst, dann sollen die Fahrer der weiterführenden Schüler erst um 15.10 Uhr kommen – ja … das klappt nicht und das würde bedeuten, dass man ganz hinten in der Schlange steht und zumindest wir wären dann frühestens gegen 16.30 Uhr, eher später am T.E.C.T. zurück.
Die Folge dieser Gegebenheiten ist ein tägliches Chaos. Das ist an sich nichts Besonderes – es gehört hier dazu: Chaotisches Parken – Hupen und wildes Gestikulieren. Doch irgendwann löst sich das Chaos auf, aber bis dahin ist es aufregend. Wie oft hier gestritten, geschimpft und wütend Emotionen ausgetauscht werden – nicht immer leicht, dabei ruhig zu bleiben.

Ralf hatte mal – typisch Deutsch – den Vorschlag gemacht, dass alle Schulen ihren Unterricht zur selben Zeit beenden oder das Tor einfach erst um 15.10 Uhr öffnen – ja gut – auf diesen grandiosen Vorschlag, hat er nie eine Antwort erhalten – never change a running System (ändere nie ein „funktionierendes“ System).
Als wir uns an einem Freitag aufgemacht haben um Nathanael von der Schule abzuholen, fuhren wir schon etwas früher los, um auf dem Weg noch unseren Einkauf zu erledigen. Dann wollten wir uns in die Schlange der wartenden Autos einreihen und warten.
Doch diesmal wurden wir auf halber Strecke an einem der Checkpoints aufgefordert rechts ranzufahren. Wir dachten, es ist mal wieder eine Kontrolle, doch erkannten, dass sich hier viel mehr Polizei und Militär als üblich aufhielten. Nicht nur wir, sondern alle Autos vor und hinter uns sollten an den Rand fahren und dort stehen bleiben. Eine Erklärung gab es nicht und so standen wir da und warteten.
Die Sicherheitskräfte wedelten wild mit den Armen – schnauzten Autofahrer oder Bikes an, die sich erdreisteten, die Gunst der Stunde zu nutzen, um an den dummen parkenden Autofahrern vorbeizukommen, und mussten sich dann irgendwo rechts reinquetschen.

Irgendwann erfuhren wir, dass sich ein Minister aus den Provinzen auf den Weg zurück in die Stadt mit seinem Konvoi machte. Und wenn sich ein VIP auf den Weg macht, wird alles abgesperrt bzw. freigemacht.
So standen wir da, beobachteten die am WalkieTalkie wild gestikulierenden Polizisten und nahmen verwundert wahr, als einer allen erlaubte weiterzufahren. Eine andere Polizistin war daruafhin entsetzt, verärgert und wütend, wie sich die Autos erdreisteten weiterzufahren. So stoppte wieder alles und wartete.
Wir würden ja nach Gründen fragen, aber nein – es erschließt sich einem nicht wirklich.

Als nach weiteren 15 Minuten alle wieder losfahren durften, schlich sich bei uns der Gedanke ein: hier hat jemand eine Probeübung abgehalten. Wahrscheinlicher aber ist, dass der Minister eine andere Route genommen hat oder erst am nächsten Tag fährt oder noch bei einem Stand zum Einkaufen Halt gemacht hat – wer weiß das schon?
Wir kamen schließlich ohne Einkaufen rechtzeitig an der Schule an und konnten glücklich unseren großen Kleinen in Empfang nehmen.
Das sind keine Ausnahmen, sondern die Regel. Du weißt nie, was passiert. Gerade jetzt in der Wahlkampzeit wird das häufiger kommen.
So hat vor einigen Wochen der Bundesrat der Baptisten in Lunsar stattgefunden und da wir Mitglieder der Peace Baptist Church und Christina Missionarin der EBMI / BCSL ist, sollte sie dort dabei sein.
Abu Koroma, Pastor der Peace Baptist Church, wollte Christina am Mittwochnachmittag abholen, um gemeinsam nach Lunsar zu fahren.

Am Mittwochmittag rief er an um mitzuteilen, dass sich ein Präsidentschaftskandidat aus den Provinzen auf den Weg gemacht hat, um zu einer Kundgebung nach Freetown zu fahren. Und wenn höhere Beamte oder Regierungsvertreter unterwegs sind, dann herrscht Ausnahmestimmung. In den Orten laufen dann unzählige Menschen und Anhänger mit und blockieren oder verlangsamen ein Weiterkommen. Autos parken die Straßen zu oder werden durch Schläge aufgefordert, den Weg irgendwie freizumachen.
Der Präsidentschaftsanwärter fuhr also am Mittwoch – wurde jedoch vom Militär aufgehalten und nachdem er sich nicht einverstanden zeigte – handgreiflich in Gewahrsam genommen. Anscheinend war auch der Präsident auf der gleichen Strecke unterwegs und der hat den Vorrang. Er ist schließlich der Arbeitgeber des Militärs – so einfach ist das. Im Internet kann man Einblick erhalten, was auf den Straßen los ist, wenn Wahlkampf stattfindet. Da will man nicht dabei sein – also wir jedenfalls nicht. Es ist laut, unübersichtlich, und hoch emotional. Wie ein Fass, das jederzeit überlaufen kann.
So fuhren Christina und der Pastor mit zwei weiteren Mitfahrern dann erst am Donnerstag früh morgens los. Sie kamen gut und ohne Verzögerungen am Gelände der Baptisten in Lunsar an.

Zurück zur Schule: Ende Januar erhielten wir über die Internationalen Gruppe (SLIBS) ein Schreiben, in dem angekündigt wurde, dass die Straße zur Schule nur noch einspurig benutzt werden kann, da sich im unteren Bereich eine Brücke befindet, die saniert werden muss.
Die Schule erhielt diese Information nur über Dritte. Warum auch sollten die Anwohner oder die Schule vorher informiert werden – wieso Eltern und Fahrer? Da die kompletten zwei Spuren zum Berg rauf gesperrt waren, blieben nur noch die zwei nach unten geöffnet. Nun sollte eine zum runter und die andere zum rauffahren genutzt werden.

Aber wo sollen denn dann die Autos der abholenden Fahrer parken und stehen? Aber keine Sorge, Chaos ist normal und irgendwie wird das schon gehen – Leben findet immer seinen Weg.

Was allerdings passiert, wenn mal wieder ein Auto auf dieser Strecke liegen bleibt – was die Regel ist – wird mit Spannung nicht herbeigesehnt.
Aber wie es so ist, wir befinden uns im Wahlkampf und der Präsident möchte noch schnell durch viele, wirklich viele Baustellen zeigen, was er alles für sein Land tut. Also was man in fünf Jahren nicht gemacht hat, wird eben schnell aufgeholt.

Mal sehen wie das wird. Wir freuen uns über jeden Tag, an dem wir gesund und munter abends wieder am T.E.C.T. landen.
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