Christina ist über die EBMI auch bei der BCSL angestellt – Baptist Convention Sierra Leone. So wurde uns von Anfang an ans Herz gelegt, in einer hiesigen Baptistengemeinde Mitglied zu werden. Wir erhielten eine Liste mit Namen von Baptisten Gemeinden, die sich in unserem Umfeld befanden und die wir sonntags besuchen sollten. Es war der Wunsch, daß wir mehr als eine Gemeinde kennen lernen und zum anderen, daß die Gemeinden „ihre“ neue Missionarin und deren Familie sehen. Und natürlich sollten wir uns dann für eine Gemeinde entscheiden, in welcher wir dann Mitglieder werden. Uns war wichtig, uns Zeit zu lassen um schließlich gemeinsam zu entscheiden, zu welcher Gemeinde wir uns regelmässig halten bzw. Mitglieder werden wollen.

So haben wir in den ersten Wochen unserer Zeit hier ca. 10 verschiedene Gemeinden kennengerlernt und deren Gottesdienste besucht. Es gibt Gemeinsamkeiten, aber auch sehr deutliche Unterschiede. Genau wie in Deutschland kann man sagen, dass jede Baptistengemeinde anders und eigen ist.
Insgesamt nehmen wir ein deutlich stärkeres Zugehörigkeitsgefühl wahr als Baptistengemeinden untereinander und zum Baptistenbund. Allerdings auch ein starkes Machtgefüge – wie auf allen Ebenen hier in Sierra Leone.
In vielen deutschen Gemeinden spielt der Bund (BEFG) für die einzelnen Mitglieder kaum eine Rolle – hier in SL ist der Bund mit seinen Verantwortlichen präsent – durch Ansagen, Hinweise und Gebete. Auf der einen Seite finden wir diese Verbundenheit gut – auf der anderen Seite wirkt der Bund für unsere Verhältnisse zu stark in das örtliche Gemeindeleben hinein.

Es gibt große Gemeinden mit über 1.000 Mitgliedern und kleinere Gemeinden um die 50-100 Personen. Das Durchschnittsalter in SL liegt bei ca. 19 Jahren und schlägt sich dementsprechend auch in der Altersstruktur der Gemeinden nieder. Gerade neu entstandene Gemeinden haben oft ein sehr junges Publikum – viele, viele Kinder und wie es auch bei uns oft nicht anders ist, sind meist die Mütter und Frauen in der Gemeinde präsent – die Männer haben „Wichtigeres“ zu tun.
Wenn es Gemeinden sind, die schon mehr Jahre auf dem Buckel haben, ist das Durchschnittsalter etwas höher und man sieht auch betagtere Menschen im Gemeindeleben. Das sind aber selbst in diesen Gemeinde maximal eine Handvoll Personen. Ist es eine „ältere“ Gemeinde, finden sich hier deutlich mehr traditionelle Hymnen im Liedgut, und weniger moderne Lobpreislieder oder AfricanWorship. In den jüngeren Gemeinden ist die Musik dagegen deutlich moderner, beschwingter und lädt zum Tanzen ein.
Musik ist in SL ein unheimlich wichtiger Bestandteil des Lebens und der Gottesdienste. So nimmt der Worship und Lieder bis zu einer Stunde – in manchen Gemeinden mehr Zeit – ein. Jede Gemeinde, in der wir bisher waren, hat einen Chor – mancher ist echt super und melodisch und andere sind enthusiastisch und lebendig – finden am Ende aber immer irgendwie zusammen. Und alle haben einen missionarischen Eifer – sie sind bis weit ins Umfeld hörbar!

Alle Gottesdienste haben gemeinsam, dass die Predigten mindestens eine Stunde lang sind und durch die Lautstärke auch kaum einer einnicken kann. Sollte das dann doch mal vorkommen, kommt die freundliche Dame mit dem Nackenshake – Spaß. Ralf hat sich schon mal gefragt, ob er auch mal den Anschein erwecken soll einzunicken, um zu testen, ob sich die Damen das auch bei ihm erlauben würden – zugegeben, eine Stunde Predigt ist ganz schön lang.
Jede Gemeinde hat sonntags vor dem Gottesdienst noch Bibelstunde – manche haben verschiedene Klassen – oft ist es nur eine Klasse. Diese finden im Gottesdienstraum statt und anschließend geht es dann auch direkt weiter. Kein Gottesdienst dauert unter 2 Stunden – wir saßen schon in Gottesdiensten, die bis zu fünf Stunden dauerten. Zwischen 2 bis 3 Stunden ist normal. Kommt Abendmahl – Kindersegnung – Fundraising (Erntedank) – Segnungen etc. dazu, dann wird es länger.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil sind die Kollekten in den Gottesdiensten. Wir haben zwischen 2 – 5 Kollektengänge in unterschiedlichen Gemeinden erlebt. Das ist dann die „Offering time“
Also wenn die Offering time ansteht, beginnt der Chor zu singen – fröhliche und beschwingte Lieder – Geben soll Freude machen!
Von hinten nach vorne – erst linke und dann rechte Seite – kommen die Gottesdienstbesucher in einer langen Reihe nach vorne – je Gemeinde und Kultur leicht swingend bis hin zum Tanzen. Vorne stehen manchmal ein und manchmal bis zu vier Behälter für das Geld.

Die erste Kollekte ist für den allgemeinen Gemeindehaushalt bestimmt. Wenn alle gegeben und sich gesetzt haben, beginnt der nächste Durchlauf – diesmal für den Gemeindebau bestimmt (also Reparaturen / Instandhaltung des Kirchengebäudes) – die Männer können rechts und die Frauen links in die Behälter ihr Geld geben.
Beim dritten Durchlauf geht es um Mission, es gibt vier Körbe mit den Monaten in welchen man Geburtstag hat (also Jan-März / April – Juni etc.). Dann gibt es noch die Abgaben des Zehnten (Tithes) – das ist für Gemeindemitglieder (1.Mose 28, 20-22).
Bis auf die Abgabe des Zehnten, die nur nach Auszahlung des Gehaltes geschieht, wird erwartet, dass jeder bei jeder Sammlung mitmacht und bitte auch etwas gibt. Obwohl wir glauben, dass oft auch nur eine leere geballte Hand in den Behälter gehalten wird. Woher sollten die Leute denn das Geld nehmen?
Auf dem Weg uns für eine Gemeinde zu entscheiden, zu der wir uns halten, bzw. Mitglieder werden wollen, kamen ein paar in Betracht.
Faith Baptist Church ist eine größere Gemeinde – super organisiert – ein toller Chor und ein sehr gut ausgewogenes Mitgliederpotenzial mit einem sehr guten Hauptpastor (Prediger). Etliche Freunde und Bekannte vom T.E.C.T. sind hier Mitglieder.

Doch die feiern mitunter schon mal vier Stunden Gottesdienst und das ist für uns doch eher schwierig. Eine weitere Frage, die uns bei dieser Entscheidung bewegt, ist wo unsere Hilfe am notwendigsten ist.
Wir registrierten schnell, dass jede Gemeinde uns gern in ihren Reihen willkommen heißen wollte. Doch in den größeren Gemeinden war eh schon genug Potential – müssen wir da auch noch hin?

Gethsemane Baptist ist eine sehr junge Gemeinde – noch nicht lange gegründet und mit vielen jungen Familien mit Kindern. Sehr lebendiger Lobpreis und ein fähiger, mutiger junger Prediger. So war dann auch der Gottesdienststil deutlich moderner – kaum Hymnen, aber viel Worship oder African songs. Für manch eine von uns war der Lobpreis aber doch sehr laut und schief und wir waren zudem am Schauen, wo Nathanael von seinem Alter Leute finden könnte. Hier waren eben sehr, sehr viele kleinere Kinder, die ihn gern anfassten, weil sie seine Haut faszinierend fanden. Ihn hat das jedoch weniger fasziniert… Ebenso waren auch hier die Gottesdienste in der Regel um die drei Stunden lang. Sie begannen meist mit einer halbstündigen Verspätung.

Kissy Baptist Church ist uns einfach zu weit weg. Ein Weg dauert um die 30 Minuten Anfahrt. Da es eine „ältere“ und sehr große Gemeinde ist, war der Gottesdienststil eher konservativ. Der Pastor war sehr gastfreundlich und herzlich. Er kannte die deutsche Familie (Meisingers), die vor Jahren als Missionare der EBM in Jui war, persönlich aus Studienzeiten.
Dann war da noch Winners Baptist – eine kleine Gemeinde noch recht dicht an Jui in einem ärmlichen Wohngebiet. Der Worship war mitreißend – wobei nach gut 2,5 Stunden Gottesdient, als Christina nur noch den Abschlusssegen erwartete, nochmal der Chor dran kam. Das entwickelte sich zu einem African Dance Contest – es war toll, hat Spaß gemacht, den Leuten beim Singen und Tanzen zuzuschauen, aber das ging dann noch mal für eine Stunde. Weit über drei Stunden ist uns einfach zu lang.

Peace Baptist Church ist die Gemeinde, die am dichtesten an Jui dran liegt. Es ist eine eher kleine Gemeinde ebenfalls in einer ärmlichen Gegend, deren Gottesdienst in der Regel unter zwei Stunden bleibt. Natürlich gibt es auch längere, aber das sind Ausnahmen. Die Altersstruktur ist ok – gut durchmischt von Alt und Jung – wobei natürlich auch hier eher junge Menschen und Kinder zu finden sind und eben auch Teenager.
Da hier vormals schon europäische Missionare in der Gemeinde waren (Oosterloos / Meisingers) haben wir den Eindruck, dass sich das schon auf den Gottesdienststil ausgewirkt hat. Es wird manchmal ein Kinderlied mit Bewegungen gesungen („If you are happy and you know it“). Alles fügt sich nahtlos ineinander. Es wird recht pünktlich begonnen und die Gesamtlänge ist kürzer als in anderen Gemeinden.
Wir möchten in eine Gemeinde gehen, von der wir denken, Gott möchte uns da haben. Eine Gemeinde, die wir mit dem was wir haben unterstützen können. Klar, alle Gemeinden wollen uns haben und wären sehr dankbar für unsere Hilfe, allein finanziell. Doch gibt es Gemeinden, die auch sehr gut ohne uns zurechtkommen.

Bei Peace Baptist ist Pastor Abu Koroma seit vielen Jahren tätig – er ist in seinen Vierzigern und hat drei Kinder im Alter von 8 – 18 Jahren. Im Sommer 2022 hat er seine Frau krankheitsbedingt verloren. Den Verlust und die Trauer kann man in der ganzen Familie logischerweise noch greifen. Zusätzlich zur Gemeindearbeit muss er jetzt allein für die Kinder, den Haushalt, den Alltag sorgen. Auch das ist ein Grund für uns, diese Gemeinde zu unterstützen und Teil von Peace Baptist zu werden.
So luden wir Pastor Koroma ein, um uns gegenseitig kennenzulernen und ein wenig mehr über Mitgliedschaft zu hören. Wir kennen die hiesigen Gepflogenheiten nicht, haben so manches am Rande wahrgenommen und wollten für uns Klarheit gewinnen. Die Sprache in fast allen Baptistengemeinden ist Krio, was wir bisher nur sehr begrenzt verstehen. Deshalb geht vieles an uns vorbei.
Es war eine nette und offene Begegnung mit einer sehr persönlichen Geschichte, die uns noch mal mehr auf unserem Weg bestätigt hat.
Der persönliche Glaube an Jesus Christus und die Taufe auf das Bekenntnis zu ihm sind klare Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft. Fast ebenso eindrücklich war der Hinweis auf den Zehnten – das regelmäßige Geben des vollen „tithe“, was hier von etlichen Mitgliedern ignoriert wird.

Aber das kennen wir ja schon – auch in Deutschland haben einige Gemeindeglieder ein eher schwieriges Verhältnis dazu. Der Umgang mit „unserem“ Geld und Besitz – dem, was Gott uns zur Verfügung gestellt hat, ist eben nicht einfach! Die Hand öffnen und bewusst abgeben ist nicht leicht. Hier ist es nicht anders. Nur das hier deshalb mitunter die Pastoren zu kaum Geld bekommen, um die Familie zu ernähren oder selbst über die Runden zu kommen.

Es gibt hier keine „Richtlinien-Gehälter“, da die Gemeinden zu unterschiedlich aufgestellt sind, was Größe und soziale Zusammensetzung angeht. Und so kämpfen gerade die Pastoren von kleinen Gemeinden um ihre Existenz. Wenn du dann noch auf dem Lande mit überwiegend armer Bevölkerung tätig bist, bleibt dir nichts anderes übrig, als noch eine oder mehrere andere Tätigkeiten parallel zum Pastorenjob zu haben.
Wir haben deutlich gemacht, dass wir unseren Zehnten geben werden. Wir können aber nicht immer unsere Anwesenheit in den Gottesdiensten oder Gemeindeversammlungen gewährleisten, da Christina am T.E.C.T. unter der Woche ein intensives Programm hat und wir darüber hinaus öfters anderweitig im Einsatz sind.
So sind wir vor unserer „Aufnahme“ erst noch in der Emmanuel Baptist Church in Kingtom, wo Ralf anlässlich des 49. Jubiläums die Predigt im Gottesdienst übernimmt. Und am Wochenende darauf sind wir zu einer Wochenendfreizeit der internationalen christlichen Gemeinschaft von Sierra Leone eingeladen, ein Zusammenschluss von ausländischen Christen, die einander unterstützen und Kleingruppen bilden. So sind wir nun Mitte Februar als neue Mitglieder von Peace Baptist Church vorgestellt, aufgenommen und gesegnet worden. (Unsere deutsche Gemeindemitgliedschaft bleibt davon unberührt, liebe Christusgemeinde Siegburg!)

Wir sind gespannt, was Gott mit uns und der Gemeinde in den nächsten Wochen und Monaten vorhat – schaun wir mal, dann sehen wir schon!