Mitte Januar, als wir den Wagen vom Präsidenten überreicht bekommen haben, erzählte er uns nebenbei, dass sie als Gemeinde (Emmanuel Baptist Church) am 29.01. ein großes Fest feiern werden – das 49. Gemeindejubiläum. Also im Prinzip ein besonderer Gottesdienst. Eine große Sache, so ein Jubiläum, und wir konnten Stolz, Freude und Dankbarkeit für das Bestehen und den Anlass deutlich wahrnehmen.

Ein ganz besonderer Gottesdienst sollte es werden und schon seinen Schatten auf das nächste Jahr werfen, wenn dann das 50. Jubiläum gefeiert werden soll.
Zeiten werden hier anders gemessen – für uns erscheinen 49 oder 50 Jahre für eine Gemeinde eher eine kleine Angelegenheit. Im Deutschen Baptistenbund gibt es Gemeinden, die eine deutlich längere Geschichte auf dem Buckel haben –auch die Christusgemeinde Siegburg hat deutlich über 120 Jahre Bestand.
Aber hier in der jungen Geschichte der Nation und der kurzlebigen Lebensdauer ist das etwas Besonderes und ein Grund zu Freude und Dankbarkeit.
Deshalb ein besonderer Gottesdienst. Beim letzten Mal hatten Sie den Rektor vom T.E.C.T. als Gastprediger eingeladen – schon öfter, deshalb sollte diesmal jemand anderes predigen – aber wer? Wie wäre es denn mit einem von Euch? Würdet ihr am 29.01. in der Emmanuel Baptist Church predigen?
Wir wissen nicht, ob er das vorher schon geplant hatte oder ob es eine spontane Entwicklung war – aber egal – hier kommen solche Anfragen immer überraschend und für unsere deutsche Seele kurzfristig.
Immerhin Predigen in einer anderen Sprache, einer fremden Kultur und mit völlig anderen Gepflogenheiten. Und dann noch zu einem besonderen Gottesdienst mit deutlich mehr Gästen.

Christina war ganz mit der Vorbereitung für das nächste Semester beschäftigt – so blieb die Frage an Ralf hängen. Er hatte im Vorfeld gesagt small small. Nach 25 Jahren pastoralen Daseins und deutlich über Limits gelaufen zu sein, ist es gut, eine Auszeit zu nehmen und sich erstmal auf das Leben und den „Alltag“ zu konzentrieren. So nahm er sich einen Tag Bedenkzeit, um das mit sich und Gott zu bewegen.
Ja wir nehmen Krio Unterricht und ein paar Worte / Sätze verstehen bzw. können wir radebrechen – doch Predigen auf Krio geht nicht. Ralfs Englisch ist limitiert und seine Aussprache des Englischen stößt hier immer wieder auf große dunkle fragende Augen … Englisch wird hier teils sehr anders und interessant akzentuiert.
Aber gut, er kam zu dem Schluss, es soll so sein. So gab er dem Präsidenten dann die Rückmeldung, dass er die Predigt übernehmen würde. Der Präsident bedankte sich für die Zusage … bei Christina.
Wie jetzt, war die Anfrage doch nur auf Christina als Missionarin gemünzt? Wie sollten wir jetzt vorgehen? Kultur ist nicht immer leicht zu deuten. Christina teilte ihm also mit, dass Ralf das übernehmen würde, wenn okay. Ah ja – also gut – danke!
So fuhren wir am Sonntag 29.01. nach Kingtom zur Emmanuel Baptist Church. Der Gottesdienst beginnt wie überall um 10 Uhr. Wir waren natürlich etwas früher da und konnten noch die Ausläufer der Bibelstunde mitnehmen.
Wenn der Gottesdienst beginnt, ziehen die am Gottesdienst beteiligten von hinten gemeinsam feierlich in den Gottesdienstraum ein – die Pastoren zuletzt. Als Ralf sah, dass sich hinten die Leute formierten, machte er sich schnell auf den Weg, um sich der Gruppe anzuschließen. Alle am Gottesdienst Beteiligten sitzen vorne auf dem Podium der Gemeinde gegenüber.

Der Ablauf, den Ralf in die Hand gedrückt bekam, sah relativ unspektakulär aus. Wie immer kommt die Predigt ziemlich am Ende. Am Anfang Eröffnung – Gebet – Lieder – Ansagen – Kollekten. Diesmal gab es noch zwei zusätzliche Blöcke. Der erste eine Hommage an die Gemeindegeschichte, vom Präsidenten (Seniorpastor) gehalten. Hier konnten wir über die Entstehung und Entwicklung – über Gemeindepastoren – Tochtergemeinden – Ziele und Mission hören. Im anderen Block ging es um einen Ausblick auf das 50. Gemeindejubiläum im nächsten Jahr. Was die Gemeindeleitung geplant hat, was bis dahin angegangen und geschehen soll, und wie dieser Tag dann im Groben gefeiert wird.
Dies wurde von einem der Ältesten begonnen und dazu hatten sie Folien vorbereitet, die detailliert zeigten, was geplant ist.
50 Jahre sind ein besonderes Ereignis und das gibt Gelegenheit zu vielerlei Dingen: Renovierung, Neuanschaffungen uvm.. Da waren echt interessante Dinge auf der Liste – wie die Anschaffung einer Orgel. Wie bitte, eine Orgel? In Deutschland wollte Ralf diese immer loswerden, zumindest was die Begleitung von Gemeindegesang anging. Als Vortragsstücke prima, aber dann bitte auch echte Pfeifenorgeln, und die sind einfach zu teuer.
Aber hier – in keiner Gemeinde, die wir bisher besucht haben, haben wir eine Orgel oder Orgelbegleitung gesehen und gehört. Wozu also so viel Geld ausgeben für ein nicht typisches Instrument in dieser Kultur??

Naja aber wir sind ja eh nur von außen und verstehen die Hintergründe oft nicht so ganz genau.
Nun übernahm wieder der Präsident bzw. der Gemeindepastor von Emmanuel Baptist Church. Und jetzt wurde es richtig spannend – es entwickelte sich zu einem Fundraising Marathon. Er rief jemanden nach vorne, der erklärte, er gibt für die Anschaffung der Orgel einen großen Betrag. Sofort wurde das schriftlich festgehalten. Wir dachten, das ist so eine Art Motivierungszeugnis, aber es war weit mehr als das.
Nun wurde in die Gemeinde gefragt, ob noch jemand was beisteuern möchte und so kamen immer mehr Personen nach vorn, die einen Beitrag für die eine oder andere Sache auf der Liste beisteuern wollten. Entstand wieder eine kurze Lücke, wurde weitergefragt und erneut kamen die nächsten. Einzelpersonen und Gemeindegruppen (Frauengruppe bis hin zur Jugendgruppe) verpflichteten sich mit Beträgen für bestimmte Projekte. Das alles wurde gefilmt – wahrscheinlich, um die versprochenen Beträge wirklich am Ende eintreiben zu können.
Das ganze dauerte mind. 40 Minuten. Zu fast allen Projekten kamen Beträge zusammen und für Sierra Leone nicht wenig! Was deutlich macht, dass Emmanuel Baptist Church finanziell deutlich besser gestellt ist als die meisten Baptistengemeinden, in denen wir waren.
Es war schon ein interessanter Programmpunkt, welcher da stattfand. Dass Fundraising hier zum Gottesdienst-Alltag gehört, hatten wir schon wahrgenommen – in dieser Form jedoch noch nicht. Es erinnerte uns eher an eine Auktion oder Basar – aber vielleicht wäre es ja auch etwas für unseren Gemeindekontext um den Haushaltsetat zu befüllen …

Nachdem dann 2,5 Stunden vorüber waren, durfte Ralf auf die Kanzel „Modelling the Gospel of Christ through the Holy Spirit“ nach Galater 5, 22. Für Ralf war es eine gute Erfahrung, mal wieder auf einer Kanzel zu stehen und auch das mit dem Englisch ist ganz ordentlich gelaufen. (Anmerkung der Ehefrau: Er hat es SUPER gemacht!) Eine Stunde Predigen hat er nicht hinbekommen, aber eine gute halbe Stunde hat er immerhin erreicht. Die Rückmeldungen waren freundlich und positiv. Dafür ist Ralf dankbar und erleichtert.
Normalerweise kommt nun das letzte Lied – Gebet und Segen. Doch ob spontan oder geplant, wer weiß, kamen nun nacheinander fünf Gemeindegruppen nach vorn, um jeweils ein Vortragslied zum Gemeindejubiläum beizutragen – Männergruppe – Frauengruppe – junge Erwachsene – Jugend und Kinder. Teils waren sie vorbereitet, teils aber auch nicht. Die Jugendgruppe hat das richtig klasse gemacht – einen fetzigen Rap entworfen, einstudiert und vorgetragen. Die Männergruppe hat ein Lied in Krio entworfen und vorgetragen, auch das war super. Der Rest hat sich einfach drangehängt.

Während des Gottesdienstes bat der Präsident Christina öffentlich von vorn in den Bekanntmachungen, die Hymne vor der Predigt auf dem Keyboard zu begleiten. Am Ende wurde sie erneut aufgefordert, auch die letzte Hymne zu begleiten. Wie gut, dass Christina spontaner geworden ist. (Anmerkung von Christina: Wie gut, dass die mir unbekannte Hymne in G-Dur und insgesamt sehr einfach war!)
Nach über vier Stunden war der Gottesdienst zu Ende. Beim letzten Lied raunte der Präsident Ralf zu, dass wir als Familie noch zum Mittagessen bei der Präsidentenfamilie eingeladen sind. Dann ging es auch schon zum Aufmarsch nach draußen.
Als wir in der Wohnung erschienen, war seine Frau sichtlich überrascht – kommt aber scheinbar öfter vor, so dass schnell für uns was Leckeres aufgetischt wurde! Planung und Organisation sind in allen Richtungen meist sehr kurzfristig und spontan.

Ein voller, interessanter und ja, auch schöner Tag ging damit vorüber und wir waren dankbar für die vielen neuen und interessanten Begegnungen und Erfahrungen.