Eine erste Beerdigung

In Sierra Leone verstehen sich die Menschen zutiefst als Gemeinschaft. Man teilt Leben miteinander: Nöte werden gemeinsam getragen, die (finanziellen) Segnungen selbstverständlich weitergegeben, und es muss immer Zeit sein für ein Schwätzchen.

Wenn ein Todesfall eintritt, betrifft dies nicht nur eine einzelne Familie, sondern die gesamte Gemeinschaft drumherum. Jeder, der irgendeine Beziehung zu Angehörigen hat, geht bei den Betroffenen vorbei und verbringt Zeit mit ihnen – nicht alle auf einmal, aber täglich kommen einige. Das geht über Wochen, bis der/die Verstorbene beigesetzt ist. Dies tun Familienmitglieder, Nachbarn, Freunde, Gemeindemitglieder, Kollegen, Studierende etc. Das gesamte soziale Umfeld der Großfamilie nimmt Anteil. Sie alle sind auch zur Beisetzung eingeladen. Man geht hin, um Solidarität und Interesse zu zeigen.

Es gab ein komplettes Programmheft – Fotos – Lieder – Vita auf Hochglanzpapier

Am 21. Januar verstarb die Schwiegermutter eines Kollegen von Christina. Er ist auch unser Nachbar. Die Frau war bereits lange krank gewesen und starb im Alter von 82 Jahren. Das ist hier eine Seltenheit – nur wenige erreichen dieses hohe Alter. Uns wurde erklärt, dass eine Beisetzung von Personen dieses hohen Alters eher fröhlich und von Dankbarkeit über dieses lange, gesegnete Leben geprägt ist. Das spiegelt sich auch in der Musik wieder, die für die Beisetzung gewählt wird.

So haben wir in den ersten Tagen nach unserer Ankunft plötzlich laute und fröhliche Umzugsmusik auf der Jui Straße gehört. Im Nachfragen, was denn da für eine Party gefeiert wird, wurde uns erzählt, daß es sich um den Leichenzug einer Beerdigung handelt. Die Musikband vorne weg und alles andere dann hinterher.

Eine Bild mit Namen der Verstorbenen als Anstecker

Die Familie des betroffenen Kollegen baute Pavillons auf und organisierte Plastikbänke, weil die Gäste gar nicht alle Platz im kleinen Wohnzimmer hätten. Wochenlang fanden Kondolenzbesuche statt. Auch Christina ging eines Morgens mit anderen Kollegen zu ihnen. Die Tochter der Verstorbenen war zwar gerade unterwegs, aber man setzte sich dennoch zusammen und hielt einen fröhlichen Schwatz mit dem Kollegen.

Die ersten Gäste kamen an – Faith Baptist Church

Dann kam der Tag der Beisetzung. Wir wurden als Kollegium offiziell eingeladen. Am Vorabend fand im Haus der Verstorbenen eine Vigil (Nachtwache) statt. Von dort wurde der Sarg mit der Verstorbenen zum Trauergottesdienst in eine Baptistengemeinde (Faith Baptist Church) gebracht, begleitet von einer Blaskapelle. Dabei wird der Sarg oft auf einem offenen Jeep transportiert und dahinter folgt dann die Trauergemeinde.

Als wir bereits auf dem Weg zur Trauerfeier waren, erfuhren wir telefonisch, dass diese erst eineinhalb Stunden später stattfinden würde. Zu spät, um wieder umzukehren. Also setzten wir uns an der Gemeinde in den Schatten. Viele wussten nichts von der Änderung der Zeit, und so trafen sich etliche alte Bekannte und man kam ins Erzählen. Dann hörte man die Marschmusik näherkommen – der Sarg trifft ein! Alle strömten in die Kapelle.

Der Trauerzug

Auffallend war, dass die Angehörigen der Verstorbenen allesamt Partnerlook hatten. Sie trugen Kleidungsstücke, die aus demselben Stoff hergestellt waren. Das ist hier bei Hochzeiten und Beerdigungen üblich. So erkennt jeder sofort, wer zur Familie gehört. Ich schätze, in diesem Fall waren es ca. 50-60 Personen. Die Trauerfeier wurde von 250-300 Personen besucht und dauerte gut 3 Stunden. Jeder bekam ein liebevoll zusammengestelltes Programm in Farbdruck mit vielen Bildern der Verstorbenen aus allen Lebensphasen und ein kleines Schildchen mit Sicherheitsnadel, das man sich an die Kleidung steckt. Auf diesem Schildchen ist der Name und ein Portrait der Verstorbenen.

Die Trauerfeier begann damit, dass die verantwortlichen Pastoren (11 Geistliche) in einem festlichen Zug den Sarg nach vorn geleiteten. Dabei sangen wir eine Hymne. Nach jeder Strophe sagte einer der Pastoren ein Bibelwort. Der Sarg stand vorn vor dem Podium. Während des gesamten Gottesdienstes wechselten sich Angehörige paarweise ab, um rechts und links vom Sarg Wache zu stehen – alle 20 Minuten kamen neue Angehörige nach vorn, um diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen.

Der aufgebahrte Sarg feierlich geschmückt

Im Gottesdienst wurde viel gesungen, unterbrochen von Trostworten, Gebeten, Bibeltexten und zahlreichen Beiträgen. Diese kamen von der Familie, von Freunden und den Gemeinden, in denen die Verstorbene Mitglied gewesen war. Hierzu reiste eigens eine kleine Delegation aus dem Nachbarland Liberia an, wo die Verstorbene einige Jahre lebte. Enkelkinder sagten ein Gedicht auf. Familienmitglieder sangen ein ergreifendes Medley. Dabei sprachen sie die Verstorbene direkt an, umkreisten am Ende den Sarg und streichelten ihn, um Abschied zu nehmen. Auch der Chor der gastgebenden Gemeinde, in der die Verstorbene seit ihrer Gründung Mitglied war, sang ein Lied. Anschließend wurde miteinander das Abendmahl gefeiert. Hier ist es üblich, dass alle ordinierten Geistlichen als erste nach vorn gehen, um Brot und Kelch zu nehmen, bevor der Rest von den Diakonen in den Reihen bedient wird. Bei der Beerdigung waren mehr als 20 Geistliche anwesend, deshalb war es eine Herausforderung, sich um den Tisch zu scharen. Aber irgendwie hat es dann doch geklappt.

Am Ende der Trauerfeier wurden alle Angehörigen eingeladen, sich um den Sarg zu stellen, um vom Pastor gesegnet zu werden. Anschließend gab es einen Totenmarsch, zu dem wir standen. Im Anschluss zogen Chor und Geistliche voraus, dann kam der Sarg und die Angehörigen. Draußen traf man auf die Blaskapelle, die eine Prozession zum Friedhof anführte. Einige fuhren mit dem Auto hinterher. Am Friedhof blieben viele vor dem Eingang. Ca. 80 Personen bevölkerten den Friedhof. Von den Worten am Grab bekam ich nichts mit, weil ich zu weit hinten stand. Das laute Wehklagen der Angehörigen, als der Sarg abgesenkt wurde, war jedoch bis zu mir hörbar. Eine Tochter brach anschließend zusammen, wurde in ein Auto getragen und mit Wasser begossen, bis sie wieder zu sich kam.

Auf dem Friedhof und auf dem Weg zur Grabstelle

Im Anschluss an die Beisetzung konnte jeder (!) im Nebengebäude des Friedhofs eine Tasche mit Essen abholen (Reis mit Fleisch), die von den Angehörigen vorbereitet wurden. Damit endeten die Feierlichkeiten. Fünf Stunden nach dem Aufbruch waren wir schließlich auf dem Rückweg.

Christina hat beeindruckt, dass bei einer 82-Jährigen über 300 Personen zu Beisetzung anwesend waren. Das habe ich in Deutschland sehr selten erlebt. In Sierra Leone ist es selbstverständlich, dass jeder seine Arbeit verlässt, um eine Beerdigung zu besuchen, sei er nun Familienmitglied oder nicht. Geschäfte werden so lange dicht gemacht, Büros stehen leer, Kunden müssen ein andermal wiederkommen. Denn Beziehungen gehen vor. Das fasste ein Kollege von mir letztens schön in Worte, als wir in der Mittagshitze gemütlich unter dem großen Mangobaum im kühlen Wind saßen, nur um zu reden und zu lachen: Alle Arbeit wird eines Tages beendet sein. Aber Beziehungen, die bleiben bis in Ewigkeit.

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