Adoption – Aaron und Ezekiel

Fast immer zu Beginn unseres Aufenthaltes hier werden wir von fremden Menschen gefragt, ob wir ihr „Freund“ werden wollen oder unsere Telefonnummern an sie rausgeben. Das heißt, du übernimmst ab sofort Verantwortung für mich! Wenn wir Hilfe brauchen und in Not sind, rufen wir dich an und du hilfst!

Mama Christina hat viele Kinder hier am T.E.C.T. und am B.T.S. und darüber hinaus. Das bedeutet: viele Nöte und Gesuche um Hilfe – Verpflegung – Kleidung – Gebühren – Arztkosten – Transport – Operationen und so manches mehr.

Das Stichwort Adoption kam gleich zu Beginn unserer Zeit in Sierra Leone auf. Ralf wurden an zwei Checkpoints (Polizei-Kontrollstellen) Kinder bzw. Babys zur Adoption angeboten. Das ist nicht unüblich, weil die Sterblichkeit hoch ist und es aufgrund von Bürgerkrieg, Ebola und Drogen viele Waisen gibt – zudem sind Weiße tragfähige Versorger. Es gibt hier kaum eine Familie, die nicht mindestens ein Kind aufgenommen hat – eher mehr.

In erster Linie geht es hier meist um die Requirierung von Sponsoren. Ralf wird in der Regel ein-zwei Mal die Woche herausgefischt – er fährt halt viel und die Kontrollen sind auf der Strecke Jui – Freetown an mehreren Stellen. So hatte er schon mal das Vorrecht dreimal an einem Tag herausgefischt zu werden.

Allein durch ihre Tätigkeit – Fürsorge und Seelsorge – ist Christina für viele hier zur Mutter geworden. Ihr Sierra-Leonischer Name ist „Mudsche“ (in Mende: Mama!). Von zwei berichten wir hier.  

Seit drei Semestern studiert Ezekiel am T.E.C.T. – er ist gerade mal 18 Jahre und sieht deutlich jünger aus. Er ist eine Vollwaise, weil seine Großmutter die Eltern mit Gift ermordet hat. Sie versuchte auch ihn zu töten. Bis heute sieht man tiefe Narben der Misshandlung an seinen Schultern/Armen.

Er wuchs anschließend im Waisenhaus auf und ist der Älteste von drei Kindern. Seine Geschwister sind 12 und 10 Jahre alt. Ihr großer Bruder ist alles, was ihnen geblieben ist. Sie leben jetzt bei den Eltern eines Schulkameraden von Ezekiel, die jedoch nicht genug haben, um den beiden alles zu finanzieren (Schulgebühren, Kleidung, Essen, Unterrichtsmaterial etc.) Deshalb fragen sie ständig ihren Bruder um Unterstützung an. Immerhin studiert er in Jui in der Nähe der Hauptstadt – da muss man doch Geld haben! So zumindest die Vorstellung der Menschen auf dem Land.

Studenten des einen Männerwohnheimes

Ezekiel hat jedoch selbst nicht genug. Wir haben ihm das einzige ordentliche Paar Schuhe gesponsert, einige alte T-Shirts von Nathanael gegeben und ihn manchmal mit Fahrgeld unterstützt. Ezekiel fühlt sich für seine Geschwister verantwortlich. Es ist schrecklich für ihn, sie nicht versorgen zu können. Deshalb plagen ihn viele Gedanken und Sorgen, die es mit dem Lernen und Studieren schwer machen.

ein gutes paar Schuhe

Ein anderer Student ist Aaron, ebenfalls gerade mal 18 Jahre alt. Er studiert Community Development im ersten Jahr. Er schrieb einen Brief an Christina, in welchem er uns bat, ihn zu adoptieren. Er hat keine Eltern mehr. Zur einzigen Verwandten, einer älteren Dame, ist der Kontakt abgebrochen, als sie nicht mehr allein im Dorf leben konnte. Von den Nachbarn weiß niemand, wo sie hin ist. Nun ist er ganz alleine, hat keinen, der sich um ihn kümmert oder zu dem er gehört. Und er würde sich so sehr wünschen, irgendwo zu Hause zu sein – Leben teilen – nachfragen – beten – aber eben auch Rückhalt und Hilfe geben.

Wir haben uns schon früher generell gegen Adoption entschieden – weil damit weit mehr einhergeht und das übersteigt unsere Möglichkeiten. Aber Gespräch – Interesse – Gebet – Austausch und gelegentlich etwas helfen – ja, das gerne!

Einmal in der Woche macht Christina für einen Teil der Studentinnen eine Bibelstunde – Austausch – Seelsorge

Solche Geschichten gibt es wie Sand am Meer – manche machen traurig und schmerzen – weil wir ahnen können, mit wie vielen Defiziten Menschen hier groß werden und ihre Zukunft gestalten.

Letzte Woche bat Ezekiel Christina um ein Gespräch. Sie merkte, ihm geht es nicht gut und er ist am Boden. Er will das Studium hinschmeißen. Er hält den Druck nicht mehr aus. Seine kleinen Geschwister denken, weil er in der großen Stadt Freetown lebt hat er Geld und soll sie unterstützen. Ihnen fehlt es an vielem und die Familie kann die Kosten für Verpflegung – Schule etc. nicht übernehmen. Auch sie sind verzweifelt und wahrscheinlich drängt die Familie sie dazu, auf ihren großen Bruder Druck auszuüben. Ezekiel hält das nicht aus – kann es nicht erklären – weil keiner es versteht.

Die Menschen hier denken so – wer in Freetown lebt hat Geld und davon soll er dann abgeben. Dass ein Student selbst nichts hat, glauben sie nicht. Das Waisenhaus kommt nur für seine Studiengebühren und das Wohnheim auf – aber mehr eben nicht. Er hat nichts! All das hilft nicht – die Erwartungen sind immens. So ist es hier eben.

Viele Studenten erzählen von diesem Druck. Etliche fahren kaum noch zu ihren Verwandten aufs Land, weil sie mit leeren Händen kämen und das wird nicht verstanden. Wer weggeht, ist für die Dorfgemeinschaft verantwortlich und muss bei seiner Rückkehr / Besuch ordentlich Geld da lassen.

Ezekiel möchte das Studium aufgeben, ins Dorf zurückkehren. Er will dort versuchen Arbeit zu finden und sich um die Geschwister kümmern.

Wir ermutigen ihn, den Weg zu gehen, den Gott ihm aufgezeigt hat. Wir geben ihm kleine Jobs (z.B. das regelmäßige Reinigen unserer Solarpanels auf dem Dach) und gelegentlich etwas Geld, so dass sich sein Leben etwas stabilisiert und er nicht eine Kurzschlussreaktion vornimmt.

Wir werden sehen, wie es weitergeht und was Gott mit ihm und seinem Leben vorhat.

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