Tod, Unfälle oder Krankheiten – keiner mag sie oder will betroffen sein. Ein bisschen schieben wir sie an den Rand des Lebens– außer man hat beruflich damit zu tun. Wer nicht im Krankenhaus, Hospiz oder ähnlichem beschäftigt ist, hat kaum Berührungspunkte damit.
Hier in Sierra Leone erleben wir es anders. Wir sind viel dichter dran an den Krisen und Grenzfällen des Lebens, durch die Menschen, mit denen wir hier leben.

Vor einiger Zeit hat ein Student sein ungeborenes Kind verloren – ein anderer bei der Geburt seine Frau und Kind – das passiert hier öfter und offenbart mitunter den desolaten Zustand des Gesundheitssystems.
Ein Kind, vier Jahre alt, ist beim Spielen in ein Brunnenloch gefallen und dabei ertrunken. Die Schulleiterin erzählte davon und zeigte uns Bilder von Unfallort und Beerdigung.
Eine Woche danach muss sie wieder zu einer Beerdigung, weil eine andere Mutter bei der Geburt ihres Kindes verstorben ist. Sie hinterlässt einen Vater mit zwei Kindern und einem Neugeborenen.
Unsere Haushaltshilfe Margret erzählte uns von ihrer Nichte. Die hatte gerade einen tragischen Unfall beim Kochen. Hier wird in der Regel am offenen Feuer gekocht. Irgendwie passierte es, dass die Nichte mit dem rechten Arm ins Feuer fiel und sich der Topf mit dem heißen Inhalt darüber ergoss. Ein Teil des Armes völlig verkohlt.
Es sieht schlimm aus – ob man den Arm retten kann – keiner kann das im Moment sagen. Sie zeigte uns Bilder und Filme von der Nichte, dem Arm. Wir haben ja schon manches gesehen. Aber einen Arm, der von der Hand bis zum Ellenbogen zur Hälfte „abgeschält“ ist, nicht. Wir ersparen unseren Lesern Bilder hiervon – für die Menschen hier sind solche Aufnahmen völlig normal – für uns nicht! Bis auf den Knochen liegt alles frei – was für Schmerzen das sein mögen, denn Schmerzmittel sind rar und zu teuer … und ja, ob der Arm gerettet werden kann, ist ungewiss.
Im nächsten Krankenhaus – bis dahin hat es schon Zeit gedauert – wurde alles verbrannte und verkohlte Fleisch etc. entfernt – und jetzt?!
Für alles weitere fehlt das Geld, zudem die Unsicherheit herrscht, ob etwas zu retten ist. So soll der Arm amputiert werden, bevor Infektionen etc. Schlimmeres verursachen.
Die Familie ist aufgelöst – hofft, betet – ruft Pastoren um Gebet und Hilfe an. Wir hatten gerade Geld erhalten und waren in der Lage, davon etwas weiterzugeben. Die Dankbarkeit ist riesig – wie damit geholfen werden kann, wird sich zeigen. Nun wird erst einmal traditionelle Medizin versucht, um vielleicht den Arm doch noch zu retten.

Hier erleben wir, wie diese furchtbaren Seiten des Lebens viel stärker und umfänglicher im Alltag vorkommen und auch in unseren Alltag greifen. Der Mensch ist verletzlich – das Leben bedroht. Das wird hier überdeutlich.
Typhus – Malaria – Covid – Grippe – das kommt regelmäßig bei unzähligen vor, befindet sich aber auf einer ganz anderen Ebene. Ja ohne Behandlung können sie gefährlich werden oder zum Tod führen – auch davon hören wir immer wieder. Krankenhaus – Medikamente – Behandlungen kosten Geld, das viele nicht haben – also beten – hoffen.
Die Nichte wird weiter herkömmlich behandelt – die Ärzte im Krankenhaus kommen ausschließlich mit der „britischen“ Lösung (Amputation).
Vielleicht wird das auch so kommen, aber im Moment noch abwarten, hoffen und beten.
Wir dürfen wieder einmal feststellen, mit welchem Vorrecht wir gesegnet sind, ob des Landes und Systems, in das wir hineingeboren wurden. Ein Vorrecht, das wir weder verdient haben noch selbstverständlich ist.
