So vergingen die nächsten beiden Tage – weder der Anwalt noch Ralf hörten irgendetwas von Seiten der Familie.
Am Donnerstag Nachmittag rief Ralf dann den Präsidenten an, ob dieser etwas von der Familie gehört habe? Ob er eine Idee habe auf was das Settlement hinauslaufen könnte – also welcher Betrag der Familie so vorschwebt?

Ach ja, der Vater ist in die Provinzen gefahren und kommt heute oder morgen zurück und dann können wir über ein Settlement reden – also einen Termin dafür vereinbaren, so der Präsident.
Ralf hielt noch mal fest, dass sein Anwalt in jedem Fall dabei sein muss – ohne diesen wird es nicht laufen. Damit muss die Gegenseite leben.
Nachdem zuvor die Familie und gerade der Vater hohes Tempo und Druck vorgegeben haben, waren nun zwei Tage ohne irgendetwas vergangen. Vor allem ohne die andere Partei in irgendeiner Weise zu informieren.
Offensichtlich weigert sich die Familie, das Gespräch mit Ralf oder dem Anwalt zu suchen. Erneut betonte der Präsident, es wäre absolut notwendig den Gang vors Gericht zu vermeiden. Dem stimmte Ralf zu, allerdings mit dem Zusatz nicht um jeden Preis. Auch das hatte er mit dem Anwalt vereinbart – Settlement ja, aber sollte es zu blumig und ausufernd werden, dann eben vor Gericht.

Das wäre ja dann noch mal eine weitere interessante Erfahrung und da würde sich zeigen, warum alle so davor warnen. Aber ehrlicherweise wollten wir alle lieber darauf verzichten.
Dennoch machte Ralf den Präsidenten nochmal darauf aufmerksam, dass das Auto von Ralf überhaupt nicht involviert war – da war der Präsident dann noch etwas überrascht, hatte er anders gehört, angenommen …
Am Freitagabend rief selbiger an und teilte Ralf mit, dass am Samstag 13 Uhr bei der Polizeistation das Treffen stattfindet!
„Nicht ohne meinen Anwalt!“ „Das ist kein guter Weg, den du da beschreitest“, war die Antwort. Ralf betonte erneut, dass die deutsche Botschaft ihn klar darauf hingewiesen hat, sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen und dabei bleibt es.

Bis zu diesem Zeitpunkt war völlig unklar, welche Forderungen Seitens der Familie im Raum standen. Einiges deutet darauf hin, dass zum einen sämtliche Kosten für Krankenhaus und Medikamente und zum anderen auch Kosten für das Motorrad übernommen werden sollen. All das aber sind Vermutungen.
Es war nicht so einfach, den Anwalt am Feiertag zu erreichen. Er musste zudem einen Termin verschieben, um dann wirklich beim Treffen am Samstag dabei zu sein – aber es klappte.
Eine solche Vorgehensweise lässt schon manches, was die Problematik in diesem Land ist, aufleuchten. Irgendwie ist immer alles, was Rollen und Vorgehen angeht undurchsichtig und willkürlich.

So machten wir uns am Samstag gegen 12 Uhr auf den Weg nach Freetown zur Polizeistation. Mit dem Anwalt wollten wir uns kurz vorher am Ort des Unfallgeschehens treffen, dass er sich ein Bild von der Situation machen konnte. Da wir etwas früher ankamen, ging Ralf schnell noch mal in den Laden, um etwas zu besorgen. Er hatte ihn noch nicht mal betreten, da kam schon ein Angestellter auf ihn zu und fragte, wie es geht und wie der Stand des Unfallgeschehens ist, er hatte ihn aus dem Fenster gesehen und beobachtet.
„Ich habe alles gesehen, wenn Du Hilfe brauchst, dann melde dich! Es war nicht deine Schuld, der Bikefahrer war zu schnell und selbst am Unfall schuld!“ Das war nicht das erste Mal, dass hier jemand diesbezüglich auf Ralf zukam und fast das gleiche sagte.
Jeder hier in Sierra Leone wird bescheinigen, dass die Bike-Fahrer „just crazy“ sind. Sie fahren rücksichtslos mit hohem Risiko und sind überwiegend die Unfallverursacher.
Dass der Vater des Verursachers das nicht wahrhaben will, obwohl er selbst professioneller Taxifahrer ist, ist nachvollziehbar.
Zusammen mit dem Anwalt kamen wir dann bei der Polizeiwache an und waren wie üblich die ersten. Der diensthabende Beamte Sergeant Rogers machte erneut deutlich, dass er keine Partei in dem Ganzen ist und die Parteien das woanders verhandeln sollen. Er muss nur das Ergebnis notieren.
Als dann die anderen Parteien da waren, suchten wir auf dem Gelände einen Platz für ein Settlement Gespräch …. Wir durften schließlich unter einem Vorzelt sitzen/stehen, während die darin wohnenden Polizisten ein- und ausgingen. Was für eine kuschelige Atmosphäre!
Von Beginn an bestimmte der Vater das Geschehen, denn der Sohn war gar nicht erst erschienen … Wiederholt wurde betont, dass es alles viel unkomplizierter hätte laufen können, wenn eben Polizei und Anwalt nicht eingeschaltet wären. Wir sind doch Familie!
Wir beide hielten uns zurück, sollten die anderen reden und handeln.
Irgendwann sollten wir uns mit Anwalt und Präsident zurückziehen um ein Vorgehen zu erläutern.

Das ist doch prima, es geht gar nicht ums Geld, meinte der Präsident. Die Kosten für Medizin und Krankenhaus belaufen sich auf ca. 2.000 Leones. Was seid ihr bereit anzubieten?
Wir würden 2.500 Leones anbieten, unsere Schmerzgrenze liegt bei 3.000 Leones (ca. 150 Euro).

Damit gingen wir dann wieder zurück. Der Präsident unterbreitete das Angebot von 2.500 Leones. Nun musste auch er feststellen, dass es doch ums Geld ging. Der Vater legte richtig los – unfair – Behandlungskosten – Schmerzensgeld – kaputtes Bike – Verdienstausfall … Er bekam sich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle. Wenn der Anwalt ansetzen wollte, wurde er vehement unterbrochen und verunglimpft. Deutlicher konnte man die respektlose Abwertung gar nicht beschreiben.
Als schließlich der Präsident seine wiederholten Versuche unternahm, erlebte er Ähnliches – Schluss mit der Männerfreundschaft – und war kurz davor, sich ebenso emotional zu beteiligen. Allerdings gelang es ihm dann doch, ruhig zu bleiben.
Nun wurde der Betrag von 3.000 Leones angeboten, es wurde etwas ruhiger, vor allem auch weil der Präsident deutlicher wurde.

Dann war plötzlich eine Einigung erzielt und wir sollten alle in die Polizeiwache und dort das Settlement bekunden. Auch das wieder abenteuerlich. Zeitweise hielten sich über 10 Personen in dem kleinen Büro auf, mit verschiedenen Anliegen und alles durcheinander und gleichzeitig.

Nach einigem Suchen wurde der Aktenvermerk zum Unfall gefunden und …. ausgetragen. Noch ein bisserl längeres Suchen und auch der Führerschein von Ralf kam zum Vorschein. Er wurde gegen Unterschrift übergeben.
Als Ralf am Montag ins Büro des Anwalts kam, um die Rechnung zu zahlen und sich etwas auszutauschen, erfuhr er, dass für die Aushändigung des Führerscheines der Polizeibeamte auch gerne etwas Geld haben wollte. Das lehnte der Anwalt freundlich ab – eine klare Ethik gehört in ihrer Kanzlei zur Voraussetzung.
Es gibt nicht wenige Anwälte, die gemeinsame Sache mit der anderen Partei oder Polizei machen, um auch ihren Geldbeutel aufzufüllen.

Nachdem auf der Polizeiwache alles erledigt war, ging es nach draußen, hier sollte das Settlement dann vollzogen werden. Ralf überreichte die 3.000 Leones und erfuhr nun, dass der Präsident noch einmal 500 Leones drauf gelegt hatte und diese dem Vater überreichte. Wir waren dankbar für das Verhalten des Präsidenten der BCSL in dieser Angelegenheit. Er hat keine Zeit, Kosten und Mühen gescheut, um uns zu helfen. Wir lernten ihn hier von einer neuen Seite kennen. Allerdings blieb nach wie vor das Gefühl der Ausnutzung bestehen.
Nun denn, so zog nun jeder seiner Straße und auch wenn eine Seele aufgrund der Ungerechtigkeit gepeinigt aufschreit, so waren wir erleichtert, dankbar und fröhlich, all das nun hinter uns zu lassen. Immerhin steht unsere Ausreise bevor.
Ralf war ja schon im Vorfeld etwas vorsichtig bezüglich der Anwaltskosten, worauf der Anwalt immer wieder betonte da solle er sich keine Sorgen machen – das wird kein Problem sein – du wirst überrascht sein.
Als Ralf dann die Rechnung in den Händen hielt, war er überrascht – da stand ein Betrag von 400 … Leones, dachte Ralf.

Das ist ja nix – wie kannst du damit leben – mach ruhig mehr?! Der Anwalt merkte offenbar, dass Ralf von 400 Leones redete und zeigte auf die unterste Zeile, da stand 400 US Dollar – ups.
Wie auch immer, ein Settlement ist erreicht, es ist vorbei und auch wenn der Anwalt meinte, er würde gerne mit Ralf wieder zusammenarbeiten, so hoffen wir, dies nicht mehr zu benötigen – zumindest was Unfälle etc. angeht.
Vielleicht ja Landkauf oder ähnliches …. – Spaß!
