Dickes Ende (2/3)

Seit März haben wir massive Internetprobleme. Das Internet war und ist immer schon bescheiden gewesen und hat, was das Versenden, Empfangen und Kommunizieren angeht, eine hohe Ausfallquote. Dafür haben sie erstklassige Preise – wir zahlen im Monat knappe 150 Euro dafür. 

sehr teuer und funktioniert nicht

Seit März nun funktioniert es fast gar nicht mehr. Die Ausfallzeiten haben drastisch zugenommen – egal welchen Anbieter wir ausprobiert haben (Qcell, Orange, Cajutel, ..) – also was tun?

Seit einem Jahr gibt es in Sierra Leone die Möglichkeit von Starlink. Eigentlich wollte Ralf Herrn Musk nicht unterstützen, doch bei dieser Entwicklung führte ihn der Weg nach Freetown, um sich dort zu informieren, ob Starlink auch in Jui funktioniert.

Nachdem er Nathanael zur Schule gebracht hatte, war er also im Geschäft und informierte sich – wir werden das wohl im letzten Jahr (September) machen.

Dann noch kurz was einkaufen und zurück nach Jui – so der Plan …

Als er vom Parkplatz (Einkaufsladen) auf die vierspurige Hauptstraße auffahren wollte, wie üblich immer schön umsichtig und langsam, das Verkehrsverhalten der hiesigen Teilnehmer macht das dringend erforderlich, versuchte er alles im Blick zu haben, langsam aber sicher – Stop and Go vortasten und einfädeln. Die hiesigen Experten fahren in der Regel abrupt, zügig und ohne zu schauen los.

rechte Seite Freetown Mall nach Einkaufem über die Straße auf die andere Fahrseite

Es war eine sehr übersichtliche Stelle und als es eine freie Passage gab, fuhr Ralf langsam auf die rechte der beiden Spuren auf. In dem Moment sah er, wie ein Motorrad angeschossen kam. Ralf stoppte sofort und sah, wie der Bikefahrer die Kontrolle über sein Gefährt verlor und von seiner linken Spur gegen den Pfeiler im Mittelstreifen knallte.

Egal wie chaotisch oder klein die Lücke – rechne damit das sich links rechts vorne hinten noch ein Bike reinquetscht.

Es gab keinerlei Kontakt zwischen Bike und Auto und die linke Spur, auf der er fuhr, war zu keiner Zeit von Ralf besetzt.

So wie man es gelernt hat: Ralf parkte das Auto und bot seine Hilfe an. Er war gewillt, den Fahrer ins Krankenhaus zu bringen. Der Bikefahrer beschimpfte und beschuldigte ihn, den Unfall verursacht zu haben, was Ralf ruhig ablehnte. Wie hier üblich, bei einem Unfall strömen die Leute zusammen, wie Motten ins Licht.

Bei 70% der Unfälle hier sind Bikefahrer involviert und aufgrund ihrer Fahrweise auch selbst schuld. Das sagt … jeder! Doch dieser junge Mann wollte dem nicht zustimmen. Er wollte, dass die Polizei kommt.

Aus der Traube der Umstehenden kam sofort der Rat, die Polizei außen vor zu lassen. Auch wurde dem jungen Bikefahrer von mehreren Seiten mitgeteilt, dass er selbst die Schuld an dem Unfall hatte. Er fuhr zu schnell, achtete nicht auf den Verkehr, verlor die Kontrolle.

Auch wir hatten von Beginn an gehört, wenn etwas passiert, nicht die Polizei zu involvieren – es lieber direkt und privat zu regeln. Durch die Polizei wird es undurchsichtig – willkürlich – missbräuchlich – korrupt. Oft geht es auch dann nicht um Richtig oder Falsch – Wahrheit und Recht – in jedem Fall dauert es länger. Also Hände weg von Polizei! Das deckte sich mit allem, was wir über die drei Jahre von unseren Bekannten und deren Erleben wahrgenommen haben.

Doch der junge Mann sah das anders. Also kam dann irgendwann die Polizei und wir machten uns im Tross auf den Weg zur nächsten Polizeistation.

Auch wenn Ralf im Grunde nur Zeuge des Unfalls war, musste er durch die Beschuldigung mit. Also gut, eine neue aufregende Erfahrung, das „umstrittene“ System besser kennen zu lernen. Also sollte die Polizei das regeln. Das Bike war kaputt und der Fahrer hatte eine offene Wunde am linken Knie.

So fuhren sie zur nächsten Polizeiwache um die Ecke. Dort nahm ein Sergeant Rogers Platz und fragte den Fahrer, was passiert ist. Er wollte Ralfs Führerschein, nahm Personalien auf und zog diesen ein. Als er dann auch noch den Autoschlüssel wollte, weigerte sich Ralf. Es wurde kein Protokoll aufgenommen oder geschrieben. Der Bike Fahrer wurde nicht nach Führerschein gefragt, geschweige denn einbehalten.

Selbst als Ralf irgendwann seine Sicht der Dinge erläutern durfte, schien das nicht wirklich jemanden zu interessieren. Schon am Unfallort war ein anderer Bikefahrer hinzugekommen, der den ganzen Vorgang gesehen hatte – ein Zeuge! Er hat dem Bikefahrer sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass dieser zu schnell und selbst Schuld am Unfall war. Der weiße Mann hat nichts falsch gemacht.

Dieser Zeuge war nun mit auf der Wache und bezeugte nun, was er gesehen hatte. Doch auch von ihm wollte man nichts wissen, keine Personalien, kein Protokoll – er wurde abgeschoben.

Ralf ließ sich jedoch seinen Namen und Telefonnummer geben und bedankte sich.

Jede Woche – oft allerings „nur“ kleine Unfälle

Nun erfuhr Ralf, dass es sich beim Bikefahrer um einen Polizisten handelte!! Das war der Moment, in welchem Ralf Kontakt mit der deutschen Botschaft aufnahm, eine Liste mit Anwälten zugeschickt bekam und in dem klar formuliert wurde, er solle sich einen Anwalt nehmen.

Das Büro in der Polizeiwache war wie ein Taubenschlag – klein – unordentlich und jede Menge Menschen die kamen und gingen. Immer mit anderen Anliegen und oder Fällen – alle gleichzeitig. Im Grunde spannend zu erleben, wenn es nicht gerade um einen selber geht – eher frustrierend.

So verbrachten wir dort eine gute Stunde, ohne dass Nennenswertes passierte. Schließlich wurde Ralf von Sergeant Rogers aufgefordert, den Verletzten zum Militärkrankenhaus zu fahren. „Ohne Führerschein – das geht nicht?!“ „Wenn ich sage, das geht, geht das“ so der Sergeant! „Und überhaupt du hast ja dann einen Polizisten im Auto ….“

auf das die gute Stube voll werde – Ralf saß beim ersten Mal auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch – da saß nun ein Chinesischer Unfallverursacher.

Was soll man tun, wenn einem ein Polizist aufträgt etwas zu tun … – in diesem Land lieber gute Miene zum fragwürdigen Spiel. Beim Krankenhaus angekommen dauerte es weitere zwei Stunden. Derweil versuchte Ralf manche Personen zu informieren, wie zum Beispiel dem Präsident der BCSL, die wollen immer gerne informiert sein. Das Auto gehört offiziell der BCSL, auch deshalb sinnvoll.

Als der Bikefahrer fertig war und entlassen wurde, teilte man Ralf mit,  dass der Verletzte weiter geschickt wurde und nun zum KKH nach Connaught auf die andere Seite von Freetown gebracht werden sollte. Dort sollte die Wunde genäht werden.

Ralf´s Order aber war, vom Militärkrankenhaus umgehend zurück zur Wache zu kommen. So fuhr Ralf mit allen dorthin. Mittlerweile waren auch die Eltern des Fahrers im Gepäck.

An der Polizeistation war Ralfs Anwalt da. Nach einer kurzen Absprache der Sachlage sollte Ralf mit der Familie weiter zum Krankenhaus nach Connaught fahren – es war bereits nach 13 Uhr – ohne Führerschein.

Ralf weigerte sich, ohne Führerschein zu fahren. Fast jede Woche wird er an verschiedenen Stellen von der Polizei angehalten und muss seinen Führerschein vorweisen. Was aber dann ohne Führerschein? Klar werden die auf Ralfs Erklärungen zustimmend reagieren – einen Kehrricht werden die! Der Gang zur nächsten Wache wäre vorprogrammiert – das nächste Verfahren und weiteres Geld, das locker gemacht werden sollte.

Dies war allen anderen herzlich egal, nicht aber Ralf und seinem Anwalt. So dauerte es etwas, aber nach etlichem Hin und Her – der Vater war gefrustet, weil sein Sohn doch verletzt ins Krankenhaus muss – willigte Sergeant Rogers schließlich ein und stelle eine Art „Ersatzführerschein“ aus. Damit würde Ralf bis zum 14. Juni fahren dürfen – in der Hoffnung, dass sich bis dahin der ganze Fall geklärt hat.

der dokumentierte Führerschein Ersatz

Am Krankenhaus wartete bereits der Präsident der BCSL und nun stellte sich raus, er und der Vater des Unfallverursachers kannten sich. Sie kommen aus dem gleichen Dorf – na wenn das mal kein Familientreffen ist!?!

Man muss dem Präsidenten der BCSL hoch anrechnen, dass er Weg und Zeit auf sich genommen hat, um vor Ort zu sein und zu helfen. Nach weiteren 1,5 Stunden Warten sollte Ralf die Familie zurückbringen. Kommunikation ist hier ohnehin nicht einfach und wer kein Krio (richtig) kann, ist außen vor. Als Weiße erleben wir oft wie über uns geredet oder verfügt wird, ohne dass wir dann informiert bzw. einbezogen sind. So erfuhr Ralf erst auf der Fahrt zurück, dass es nicht zur Polizeiwache ging, sondern nach Aberdeen zur Familie.  

Keiner konnte oder wollte sagen, wie es weiter geht. Der Vater machte kein Hehl daraus, dass Polizei und Anwalt kein guter Weg sind. Der Hinweis, dass sein Sohn darauf bestanden hat, lehnte er vehement als falsch ab. Dass sein Sohn selbst Schuld am Unfall ist und alle Zeugen dies bestätigen können, war schlichtweg frei erfunden, so seine nachdrückliche Überzeugung.

Die Menschen hier sind sehr emotional – aufbrausend, laut und für unsere Ohren fast aggressiv – kurz vorm Kloppen. Wir haben uns angewöhnt, wenn es geht, unser Involvement lieber klein zu halten.

Präsident Rev. Josef Fornah vor dem Krankenhaus mit einem anderen Baptistenpastor der dort behandelt werden wollte.

Im Laufe seines Lebens meint Ralf gelernt zu haben, wenn Menschen zu Beginn vehement etwas verneinen oder ablehnen, dass es im Grunde genau darum geht. Als sie von den Kosten für Arzt, Krankenhaus, Medikamenten sprachen, bot Ralf an, etwas geben zu können. Der Vater wurde richtig ärgerlich, er hat Geld, sie bräuchten nichts! Es geht also um Geld, dachte Ralf so bei sich … das weiße Lamm, dass zur Schlachtbank geführt wird.

Nachdem er schließlich die Familie in Aberdeen vor der Haustür abgesetzt hat, machte er sich endlich auf den Weg nach Jui, wo er gegen 18.15 Uhr eintrudelte.

Ein ganzer Tag, anders als geplant und so hatte Ralf keine Möglichkeit, Nathanael von der Schule abzuholen. Christina musste etwas organisieren, um dies zu ermöglichen. Es ist nicht einfach hier mal eben ein Taxi oder Ersatzfahrzeug und Fahrer zu bekommen. Gott sei Dank hat alles über Freunde geklappt.

Am nächsten Tag konnte Ralf Nathanael wieder zur Schule bringen und da ihm gesagt wurde, er soll sich vormittags bei der Polizeiwache einstellen, rief er seinen Anwalt an, um das weitere Vorgehen abzusprechen.  

Sein Anwalt Mr. Eku, ein junger Mann, der gerade sein Studium in UK abgeschlossen hatte und seit vier Monaten in Freetown ist, meinte nur, das es keinen Grund gibt, auf die Wache zu fahren. Zum einen ist da jetzt noch niemand arbeitswillig und zum anderen müssen beide Parteien erstmal klären, wie es weiter gehen soll. Bis zu einem Settlement oder eben keinem bleibt die Polizei außen vor. Die beiden Seiten müssen klären, ob sie einen Vergleich finden oder vor Gericht ziehen wollen.

All das wurde nun mit dem Anwalt besprochen und erläutert. Wir waren bereit für eine Vereinbarung, die überschaubar war. Auch der Anwalt riet davon ab, vor Gericht zu gehen.

Der Präsident BCSL (links) mit Anwalt Mr. Eku (rechts) im Gespräch

Denn auch hier gilt selbiges wie mit der Polizei – Willkür – Missbrauch – Korruption und zudem ist es nervenaufreibend – kostenintensiv und langwierig – bei unklarem Ausgang – also auf jeden Fall vermeiden.

So wollten wir versuchen ein „Settlement“ zu erreichen – also einen privaten Vergleich. Ralf war von Beginn an bereit zu helfen. Mit einem Settlement allerdings war auch klar, dass Ralf nicht ohne Kosten aus der Sache herauskommen würde, obwohl er im Grunde nichts verkehrt gemacht hat … außer anzuhalten und Hilfe anzubieten.

Während also Sachverhalte angeschaut und weiteres Vorgehen besprochen wurde, klingelte das Telefon, der Präsident rief an. Wo Ralf den bleibe? Die Familie erwartet ihn, damit er sie von Zuhause abholt und zum Krankenhaus nach Connaught bringt??!!??.

Dort muss noch eine Röntgenaufnahme gemacht werden, um auszuschließen, dass nicht der Knochen in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Warum allerdings der Präsident zum Sprachrohr der Familie wurde und diese weder Ralf noch seinen Anwalt anriefen … war Kalkül und zeigte, was sie von der ganzen Sache hielten.

Wie bisher wurde Ralf weder im Vorfeld informiert noch höflich darum gebeten. So kam dann wieder „die extra Meile“ ins Spiel, die man gehen soll. Ein beliebtes Druckmittel, um immer noch mehr und mehr zu geben oder tun. Und natürlich wird sich das positiv auf das weitere Vorgehen (Settlement) auswirken, so der Präsident.

Der Vater hatte am Vortag schon deutlich gesagt, er wird sich, wenn überhaupt mit dem Präsidenten in Verbindung setzen, die kennen sich ja von früher. Anwälte – Polizei sind völlig unnötig – hätte man alles einfacher regeln können. Tja, das hat sein Sohn leider nicht so gesehen. Money, money, money ….

Also gut, nach Aberdeen die Familie einsammeln und wieder quer durch das Stadtzentrum zurück zum Krankenhaus – gut.

Am Krankenhaus selber gibt es keine Parkplätze und in der Innenstadt ist parken ohnehin nicht einfach. Also suchend und betend um den Block fahren. Als er schließlich einen Parkplatz gefunden hatte, teilte er der Familie mit, ihn zu benachrichtigen, wenn sie fertig sind, damit er sie am Krankenhaus abholt und nach Hause fahren kann.

Der Unfallverursacher – Bikefahrer – Polizeibeamte – Sohn am Krankenhaus

Ca. 1,5 Stunden später klingelte das Telefon, sie wären jetzt fertig! Ralf machte sich auf den Weg, doch als er am Krankenhaus Eingang war, konnte er keinen von Ihnen sehen. Während er sich verwundert umschaute und suchte, klingelte das Telefon und der Vater teilte ihm mit, sie hätten bereits ein Keke nach Hause genommen.

Kein Danke – Entschuldigen – kein wie es weiter geht – was die Vorstellungen für ein Settlement sind – nada nichts!

So konnte Ralf direkt zur Schule, Nathanael einsammeln. Wir brauchten kein Ersatzfahrzeug und Fahrer und waren diesmal zur normalen Zeit Dahoam.

Wie es aber nun weitergehen wird und soll, blieb offen. Es gab keine weitere Informationen – also abwarten. Zudem stellte sich heraus, dass Freitag ein muslimischer Feiertag sein würde – keine Schule – geschlossene Behörden und Ämter – also die deutsche Tugend (Geduld).

Versöhnungsfest im Gedenken an 1. Mose 22 (Abraham soll Isaak opfern)