„Das dicke Ende kommt noch!“ – ist ja so eine Redensart und die können wir nun ganz gut nachvollziehen.
Generell ist, jedenfalls für uns aus der ersten Welt, das Leben nun in der letzten Welt nicht immer einfach. Selbst wenn wir uns vor Augen halten wollen, dass die Menschen hier damit ihr gesamtes Leben zu tun haben. Wir stoßen hier regelmäßig an unsere Grenzen vom Verstehen, Begreifen, Fühlen und Glauben und manchmal eben auch darüber hinaus.

Von daher sind wir jedes Jahr dankbar für eine kleine aber wichtige „Auszeit“ in der alten Heimat oder Normalität. Die steht nun kurz bevor und es wird Zeit. Das Leben hier fordert und stresst. Das Leid, die Ungerechtigkeit, Willkür und Missbrauch sind ständige Begleiter und zehren an den Nerven – Pause bitte!
Nun ja, das dicke Ende. Hier gibt es jede Menge Streuner, „wild dogs“, um die sich niemand kümmert, die im Gegenteil geschlagen, getreten, getötet oder gequält werden. Selbst Hundebesitzer hier haben einen eher speziellen Umgang mit ihren Hunden. Aber wie gesagt, wenn man Menschen schon nicht gut behandelt, dann Tiere erst recht nicht. Und ja, auch wir sind der Überzeugung, dass in den westlichen Zivilisationen Behandlung und Stellung von Haustieren mitunter weit überzogen sind. Aber nun leben wir auf der anderen Seite der Extreme.

Auf dem Campusgelände leben jede Menge Streuner. Hier haben wir ja auch unseren „Pinsel“ im Alter von zwei Wochen gefunden und aufgenommen. Die Streuner suchen oft nur erstmal einen sicheren Ort, wo sie nicht gleich verjagt, bekämpft oder gequält werden – einfach mal zur Ruhe kommen. Und so liegen oft um unser Haus herum Hunde. In diesem Jahr war eine Mutter mit drei Welpen. Wir begannen sie zu füttern. Mittlerweile gibt es nur noch einen „Welpen“. Mitunter kommen sie heute noch einmal am Tag vorbei.

Irgendwann war dann ein Rüde bei uns am Haus und blieb in der Nähe der Garage. Dort gibt es einen kleinen offenen Unterstand und da „lebte“ er fortan. Er war kein typischer Streuner – viel zahmer und sehr viel mehr menschenbezogen. Wir hatten den Eindruck, er hatte vorher ein Zuhause und wurde einfach schlecht behandelt oder ausgesetzt. Er suchte unsere Nähe und war sehr liebebedürftig. Wir nannten ihn Winsel, da er uns, sobald wir Garage oder Haus verließen, winselnd ansprang und unbedingt gestreichelt werden wollte. Manchmal war es nervig, von ihm komplett abgeschleckt zu werden, und er war zeitweise derart aufgeregt, dass er einnässte. Er wollte definitiv von uns adoptiert werden – das aber nein. Gefüttert ja und ums Haus geduldet. Jedoch nicht mehr. Irgendwann meinte Smart, er hätte ja gerne einen Rüden, der müsste allerdings kastriert sein. Winsel und Smart hatten direkt einen Draht zueinander.

Wir freuten uns, da wir dem Hund nun einen neuen und guten Platz vermitteln können. So machten wir einen Termin mit dem Tierarzt aus, der kam und die Kastration fand im Beisein von Christina in unserer Garage statt. Es verlief alles gut. Da wir nach der OP erstmal auf ein sicheres und sauberes Umfeld achten mussten, richteten wir in der Garage für ihn einen Schlafplatz ein. Dort sollte er eine Woche bleiben, bis eben die Wunde gut verheilt war.
Drei Tage nach der OP nahmen wir wahr, dass Winsel sich anders verhielt, er zog sich zurück, aß weniger und sein Laufen war wackelig. Wenn er in Christinas Gesprächsraum lag (wie sonst auch immer), fing er plötzlich unvermittelt an zu winseln. Wir schoben es auf die OP – schauten uns die Wunde an, sahen, dass er sich die Fäden selbst gezogen hatte, desinfizierten und ließen den Tierarzt kommen.
Die Wunde wurde noch mal genäht – Schmerzmittel dagelassen und nun bekam er auch eine Halskrause, damit er die Wunde zwei Tage in Ruhe lassen musste. Doch es wurde nicht besser, im Gegenteil immer schlimmer – laufen, bewegen alles schmerzhaft und auch Fressen wollte er kaum noch.

Dann teilte uns der Tierarzt mit das es aussieht als hätte der Hund Staupe – eine schreckliche, oft auch tödliche Virusinfektion. Wir hatten noch keine Ahnung, was das bedeutet und nach sich zieht. Was tun? Der Tierarzt gab mehrere Spritzen – Schmerzmittel und meinte es sollte in fünf Tagen besser werden, wenn nicht ….
Es wurde nicht besser, es war zu spät. Er hatte die Form, welche die Nerven des Tieres befällt. Das Virus lähmt den Körper zunehmend, ein sehr schmerzhafter Prozess. Er konnte zunächst nicht mehr laufen oder stehen, seinen Kot nicht halten, sich nicht einmal umdrehen. Wir durften nicht nicht mehr anfassen, zu schmerzhaft wurde jegliche Berührung. Morphin hatte keinerlei Wirkung.
Das Atmen wurde schwieriger – Fressen nicht mehr möglich. Wir bekamen die Tabletten schließlich überhaupt nicht mehr in den Hund. Uns war klar, wir müssen den Hund einschläfern lassen – also nicht Stock oder Stein sondern friedlich – geht das? Ja, die Mittel gibt es – aber weit, weit weg. Wir riefen alle möglichen Tierärzte und Tierkliniken an, doch Transport mit dem Hund war unmöglich. Wir konnten ihn nicht einmal auf eine Decke bewegen, weil ihm jede Berührung wie Folter erschien und er uns biss.
Mittlerweile ließen wir den Hund in unserem Büro sein. Damit er uns und wir ihm nahe sein konnten. Insgesamt waren es vier furchtbare Tage voller Leid, Schmerz, erbarmungswürdigem Röcheln und Jaulen.
Endlich gab der Tierarzt das Signal, er hat das Mittel und würde nun vorbeikommen. Das wird aber erst gegen 23 Uhr sein. Doch eine halbe Stunde bevor er mit dem Mittel kam, hatte Winsel es geschafft.

Das war eine furchtbare Zeit für uns alle – ein Tier so leiden zu sehen und völlig hilflos und allein gelassen zu sein …
Am Morgen kam Smart und beerdigte Winsel mit Decken, Handtuch und allem anderen. Interessant für uns. Als Winsel gegen 22.30 Uhr starb, gab es just um uns herum ein „Hundekonzert“ von allen Streunern der Gegend. Einer der ihren ist gegangen und wurde gewürdigt! Eine schreckliche und nachgehende Erfahrung
