Gibrealla haben wir über einen Abgangsstudenten (Emmanuel) im ersten Jahr kennen gelernt. Er ist einer von Emmanuels besten Freunden. Beide haben als Studenten zusammen gelebt und waren Teil der gleichen Gemeindearbeit bei einer freien Pfingstgemeinde. Emmanuel hat später geheiratet und sie haben eine gemeinsame Tochter (Christina). Nach einem erfolgreichen Abschluss am T.E.C.T. (Theologie) arbeitet er als Pastor in einer Gemeinde in Kenema. Seine Frau Nenneh studiert noch über das Distanzprogramm am T.E.C.T. Theologie.

Gibrealla fehlte das Geld zu studieren. Er arbeitete als Fischer, als bei einem Bootsunfall die gesamte Crew starb – bis auf ihn. Er plante daraufhin, sich nach Europa durchzuschlagen. So reiste er quer durch Afrika bis nach Libyen. Auch auf dieser abenteuerlichen, monatelangen Reise erlebte er, wie etliche Reisegefährten starben. Flüchtlinge gelten in vielen Ländern als Freiwild. Sie werden erpresst, ausgeraubt, gejagt, eingeschüchtert und nicht selten getötet. Er wurde schließlich in Libyen aufgegriffen und nach Sierra Leone zurücktransportiert. Wer sich seine Geschichte anhört, staunt immer wieder, dass Gibrealla immer noch lebt. Auf Darlehnsbasis hat er sich vor einiger Zeit ein Motorrad gekauft und fortan mit Beförderungen seinen Lebensunterhalt verdient. In diesem Land sind Motorrad-Taxis die gängigste und günstigste Art der Beförderung. Allerdings auch die …. Abenteuerlichste. An jeder Kreuzung stehen zig von ihnen und warten auf spontane Kunden. Von Jui Junction bis zum College kostet ein Bike-Taxi 5 Leones. 20 Leones sind 1 Euro.

Immer wieder hatte Gibrealla Unfälle – bei dem hiesigen Verkehr kein Wunder. Erstaunlich jedoch, dass bei diesen Unfällen immer wieder exakt die gleiche Verletzung entstand. Hier glaubt man deshalb an Magie – und das gibt es hier wirklich. Einige Verwandte sehen es eben nicht gern, dass er Christ ist, und versuchen ihn durch okkulte Praktiken vom Weg abzubringen.
Emmanuel blieb über die ganzen Jahre mit ihm befreundet. Eines Tages bat er Christina um Gebetsunterstützung, als Gibrealla wieder einmal im Krankenhaus zusammengeflickt werden musste. Ralf und Christina hatten den Eindruck, dass sie die Genesung mit etwas Geld unterstützen sollten – ansonsten wären gewisse Medikamente und Untersuchungen nicht möglich gewesen. So kamen sie in Kontakt mit Gibrealla. Er ist ein sehr stiller, in sich gekehrter und höflicher Mann. Um seinen Glauben war es mit der Zeit still geworden.

Gibrealla ließ sich dann von uns zum Gottesdienst der Peace Baptist Church einladen. Fortan ging er regelmäßig dort hin. Er nahm seine Tätigkeit als Biketaxi wieder auf, war fleißig, gewissenhaft und konnte schließlich das Bike abbezahlen. Kurz darauf wurde ihm das Bike geklaut – das ist hier leider völlig normal. Oft sind es kleine Gangs, die nur auf Gelegenheiten warten.
Gibrealla blieb jedoch stabil. Er nahm sein Erspartes und ein neues Darlehen für ein Bike auf und ging wieder seinem Job nach. In der Gemeinde gehört er mittlerweile zur Gruppe der jungen Erwachsenen und übernimmt immer mal wieder kleine Aufgaben. Er ist geistlich gewachsen und sein Interesse am christlichen Glauben und Jesus ist motivierend. Im vergangenen Semester hat er sich für ein Zusatzstudium am T.E.C.T. eingeschrieben. Dieses Samstagsprogramm ist für Gemeindemitarbeiter, die sich in ihrer Freizeit fortbilden möchten. Es ist wie eine Bibelschule, in der Grundlagen gelegt werden. Das Zertifikat am Ende ist nett, bietet jedoch keine berufliche Grundlage. Ihm gefiel dieses Samstagsprogramm sehr. Wir nahmen wahr, dass er von einer neuen Begeisterung erfüllt war – so kannten wir ihn bisher gar nicht.
Der Kontakt zu Gibrealla war beständig, meist durch kurze Whatsapp Nachrichten, wie sie hier üblich sind: Guten Morgen, wie geht es? Mir geht es gut, danke. Hab einen schönen Tag.
Eines Tages erlebte Christina, wie eine ihr unbekannte Nummer mehrmals versuchte, sie zu erreichen. Christina hat kein Guthaben auf ihrem Handy, weil es stets nach ein paar Tagen verschwindet, ohne dass sie es benutzt. Außerdem muss man hier mit unbekannten Nummern sehr vorsichtig sein. Schließlich siegte jedoch die Neugier und Christina nahm einen der zahlreichen Anrufe an.

Die Person war schwer zu verstehen – der Anruf von schlechter Qualität und der Anrufer konnte kein Englisch. Es fiel der Name Gibrealla, bike und church. Was sollte das? Was Christina direkt auffiel: Die Stimme war definitiv NICHT von Gibrealla.
Wurde das Handy geklaut? Hat ein „Freund oder Familienmitglied“ es in die Hände bekommen und nutzt nun die Gunst der Stunde um Geld zu erfragen? All das durchaus im Bereich des Normalen.
Der Anrufer aber war eher aufgeregt – ein bisserl eindringlich. Christina rief deshalb ihren Pastor an, teilte ihm die Situation mit und gab ihm die Nummer des Anrufers. Pastor Abu war bereit, der Sache auf den Grund zu gehen. Wollte er doch selbst wissen, was mit Gibrealla los ist.
Es stellte sich heraus, dass Gibrealla überfallen worden war. Er war spät abends noch mit dem Bike unterwegs gewesen. Ein Kunde lockte ihn in eine Falle, zwei Männer verprügelten ihn am Zielpunkt mit einer Eisenstange und raubten ihn aus – u.a. das Motorrad und sein Handy. Sie wollten ihn durchaus tot sehen. Nach mehreren harten Schlägen auf den Schädel ging er bewusstlos zu Boden.
Gibrealla wurde rechtzeitig gefunden und schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Es war ein heftiger Raubüberfall. Natürlich wissen alle, dass es nachts auf den Straßen von Freetown nicht sicher ist. Aber wenn dein Lebensunterhalt davon abhängt und du jung bist, dann ignoriert man mitunter schon mal die Vernunft.
Im Krankenhaus konnte ihm erstmal geholfen werden. Scans haben ergeben, dass der Schädel nicht gebrochen ist und auch das Trommelfell ist nicht gerissen. Allerdings hat er innere Verletzungen am Kopf, die Zeit brauchen. Wir waren dankbar zu hören, dass er keinen Gedächtnisverlust hat (abgesehen von den 3 Tagen, an denen er nicht ansprechbar war), und normal sprechen kann.

Das Verarbeiten des Geschehenen und Verheilen der Wunden braucht Zeit. Oft ist ihm schwindelig. Die starken Schmerzen haben inzwischen etwas nachgelassen. Ob etwas auf Dauer zurück bleibt, kann im Moment keiner sagen. Ob er jemals wieder Bike fahren kann, auch nicht. Manchmal fragt man sich schon – wieso auch das noch? Ein junger Mensch auf einem guten Weg und wieder so ein böses Erleben, wieder ein heftiger Rückschlag.
Ja, der Böse schläft nicht. Er möchte Christen, die auf einem guten Weg sind, zu Fall bringen. Wir ringen und beten, daß Gibrealla den Mut hat weiter zu gehen. Der Pastor und Teile der Jugendgruppe besuchten und ermutigten ihn. Auch Christina war inzwischen da. Es ist schön, eine tragfähige Gemeinschaft zu haben. Gott sei Dank.
Was weiter wird – körperliche Wiederherstellung – unbezahltes Bike – Verdienst und Einkommen – wir beten. Denn eines ist klar – dieses Bike wird er nie wieder sehen.
