Als Dozentin versucht Christina immer ein offenes Ohr für ihre Studenten und deren Anliegen zu haben. Das kommt hier eher selten vor – zu oft sind Dozenten mit Arbeit und Verantwortung überlastet und zudem, scheint es hier kulturell nicht wichtig Interesse am Menschen zu haben.

Über die Zeiten hat sich das bei Christina doch ein wenig anders entwickelt und so hat sie neben der Menge an Arbeit eben auch jede Menge Gesprächstermine. Die Studenten fassen Vertrauen. Häufig suchen sie ihren Rat – ihre Sicht – oder wollen sich einfach nur mitteilen. Etliche erzählen inzwischen von sich und ihren persönlichen Situationen. Das ist hier wirklich untypisch und hat mit ihrer Art und Weise zu tun. Vertrauen wird hier oft missbraucht oder ausgenutzt. Doch wir gehören ja nicht wirklich zum System, sondern sind anders. Das nutzen inzwischen viele Studenten aus.

So bekam Christina mit, dass die Ehe bei einem ihrer Studenten in Schwierigkeiten war. Auf ihr behutsames Nachfragen hin entwickelte sich ein Gespräch. Er war Student, seine Frau und Kinder weit weg in den Provinzen. Persönliche Herausforderungen und Schwierigkeiten verbunden mit dem Abstand machten das Miteinander des Ehepaares über Monate immer schwieriger. Als dann die „Godparents“, ein Pastorenehepaar, intervenierten, stand plötzlich die Scheidung im Raum. Das nennt man mal ein Deeskalationsgeschick! Zwischen den Jahren kam nun also ein telefonischer Hilferuf, weil Christina für ihre Gebete bekannt ist.
Sie kennt das Ehepaar und auch den Ort, wo sie leben. Sie hat sie schätzen gelernt – beides tolle Menschen. Es tat ihr in der Seele weh, dass nun über Trennung geredet wurde. So hatte sie auf dem Herzen und fragte beide unabhängig voneinander, ob es ok wäre, die beiden zu besuchen, sich zu Gesprächen zu treffen und zu sehen, ob Gott ihnen einen Weg zusammen schenkt.

Beide waren berührt und dankbar für diese Art der Unterstützung – sie vertrauen ihr. So machte sich Christina an einem Sonntagmorgen um 4.30 Uhr auf den Weg. Da sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren würde und wir nicht wollten, dass sie dies alleine macht, baten wir einen weiteren Studenten (Jeremia), auf unsere Kosten mit ihr dorthin zu fahren. Er würde in dieser Zeit seine eigene Familie besuchen, die dort wohnt. Na klar macht er das! Er hat dazu selten die Möglichkeit, weil es eben viel Geld kostet.

So besorgte er Sonntag früh die Tickets. Gott schenkte ihnen einen Bus, der fast alle Tickets bereits verkauft hatte. Hier wird nämlich immer gewartet, bis die Busse voll oder ziemlich voll sind. Das kann schon mal locker 4 – 6 Stunden dauern. Zeit ist relativ. Diesmal war es deutlich schneller. Schon gegen 6.30 Uhr ging es los – eine Fahrt in den Sonnenaufgang, den Christina unterwegs in vollen Zügen genoss.
Die Reise verlief problemlos – man muss sich halt daran gewöhnen, mit vielerlei auf engem Raum lärmend unterwegs zu sein. Dazu gehören auch Predigten und Gebet – Unterhaltungsprogramm während der Fahrt. Ab und an wird an verschiedenen Stationen gehalten – Passagiere wechseln – vertreten sich die Beine – verschwinden in den Büschen oder kaufen sich was zu Essen und Trinken. Als Weißer ist man gut beraten, vorher weder zu essen noch zu trinken, um nicht auch im Graben vor aller Augen Erleichterung finden zu müssen. Die Einheimischen machen das hier alle, aber eine Weiße in dieser Position wäre DER Hingucker. Darauf wollte sie lieber verzichten.

Am Nachmittag trudelten sie am Zielort ein. Der begleitende Student machte sich auf den Weg zu seiner Familie und Christina zum „Guest House“, wo sie bis Mittwoch sein würde. Dort würde sie die beiden – einzeln und gemeinsam – treffen und Gespräche führen. Es wäre nicht gut, das bei ihnen zu Hause zu tun. Wände haben Ohren. Kinder, Erwachsene – überall ist Leben. Alles wird wahr- und aufgenommen und weitergetragen – das gilt es zu vermeiden.
Das Guest House ist sauber und für afrikanische Verhältnisse komfortabel: Klimaanlage, Strom fast den ganzen Tag, Moskitonetz, Dusche mit fließend Wasser, Wasserklosett. Da bleiben keine Wünsche offen!
Dort hatte sie viel Zeit für die Gemeinschaft mit Gott, was sie zutiefst genoss. Neben den Gesprächen durfte sie auch noch die Familie des Studenten kennen lernen, der sie freundlicherweise auf dem Weg begleitet hatte. Sie waren sehr dankbar für ihre Unterstützung im Leben des Studenten, so dass sie ihr ein selbstbesticktes Set von Tagesdecke und Türvorhang schenkten.

Am Ende gab das Ehepaar Christina eine große Tüte Kochbananen mit. Es ist immer wieder beeindruckend: Obwohl viele kaum selbst etwas haben, v.a. zum Essen, geben sie doch großzügig weiter. Das dürfen wir auf keinen Fall ablehnen, sie wären zutiefst verletzt. Da aber die Mengen zu viel für uns sind und wir nicht jeden Tag ausschließlich Plantain essen wollen / können, verschenken wir davon einen Teil diskret an andere. Das sorgt für große Freude auf allen Seiten.
Aus Dankbarkeit wollen uns immer wieder Studierende etwas Gutes tun – „sagt einfach was“. Aber das ist gar nicht so leicht. Wir haben schon jemanden für den Haushalt – fürs Wagenwaschen – Wagenreparieren – Solarpanelsreinigen – mitunter mal schnell auf den Markt einkaufen oder Top Ups machen (Stromeinheiten kaufen). Aber mehr wissen wir wirklich nicht.

So auch dieser Student. Er möchte uns gerne etwas Gutes tun – er will auch absolut nichts dafür haben. An was denkst du denn?
Er kann Haare schneiden, meinte er zu Christina. Und wie das so bei Frauen ist, an meine Haare lasse ich niemand anderen als die Friseurin meines Vertrauens. Doch es gibt ja noch andere wunderbare Opfer … Ralf! Du könntest Ralf die Haare schneiden, … der hat es nötig!

Nun sah Ralf sich im Geiste schon auf einem Holzhocker an der Hauptstraße im Blick der versammelten Örtlichkeit sitzen und der Student säbelt dann mit einer Rasierklinge an seinem Haupt rum – so sieht das hier nämlich meist aus …

Aber Abenteuer ist Abenteuer und so vereinbarten die beiden ein Treffen hinter der Garage bei uns am Haus. Wie oft hast du denn schon Haare geschnitten, fragte Ralf. Naja beim Nachbarn habe ich das bisher zweimal gemacht!?? Na wunderbar, wo ist der Notsitz, mit Ausstiegsschalter?!
Nun ja, Ralf gab ihm den Haareschneider, den er für Sierra Leone gekauft und mitgebracht hat. Damit hat er sich bisher selber die Haare geschnitten. Das wäre doch deutlich besser als erwähnte Rasierklinge.
Nachdem er den Gebrauch erklärt hatte, ging es los. Es dauerte gar nicht lange und war auch völlig in Ordnung. Man merkte, wie nervös er war und nach 20 Minuten war es dann auch gut. Christina hatte sich einen anderen Termin parallel gelegt, um dies Schauspiel nicht mitansehen zu müssen. Dennoch erkannte sie Ralf hinterher wieder und er durfte ins Haus zurückkehren.

Der junge Mann allerdings weigerte sich Geld anzunehmen, das macht er gerne und ist ein Freundschaftsdienst, weil er so dankbar ist.
Dafür brachte er uns dann ein paar Tage später noch ein Geschenk vorbei – eine Delikatesse und Köstlichkeit – geräucherter Trockenfisch. Mit dabei war eine Verwandte, die ein Geschäft damit betreibt. Sie bereiten den Fisch vor, der wird dann dick in Zeitungspapier eingepackt um abschließend mehrfach mit Frischhaltefolie umwickelt zu werden. Fertig ist das Fischpaket.
Das sind dann unterschiedlich große oder kleine Pakete und die halten für mehrere Tage und Wochen. Hier gilt es als eine Delikatesse. Da Christina eine Fischallergie hat und Nathanael sich dem Grauen nicht nähern wollte, fiel die Aufgabe des Probierens an Ralf. So öffnete er mutig ein Paket und probierte von selbigem. Unser Gast Richard ergriff bei dem Anblick die Flucht.

Aber schnell wurde klar: Das ist nichts für uns und wir wissen auch tatsächlich nicht, wie das richtig gegessen wird. Ralf vermutet, es wird einfach so wie es ist, alles gegessen – mit Haut – Gräten – Zähnen … und darauf rumgekaut, bis es klein gemahlen ist – anders wäre dies auch kaum möglich. Oder man zermalt es komplett und nimmt es in Soßen hinzu?.
Nun ja, nicht unseres – so verschenkten wir diskret die noch übrigen neun Pakete. Es war wirklich sensationell zu erleben, wieviel Dank und Freude das auslöste.

Doch zurück zu der spontanen Reise von Christina. Die Tage mit dem jungen Ehepaar waren schnell vorüber. Es war eine gute, intensive und hoffentlich segensreiche Zeit. Es wird zu sehen bleiben, was Gott Neues tut.
So ging es am Mittwochmorgen um 4 Uhr wieder auf den Rückweg. Wieder mit den „Öffentlichen“. Dieser Bus war noch enger und voller belegt – es gab kaum Möglichkeiten an Beinfreiheit.
Wie auch in den anderen Bussen werden auch hier im Mittelgang Stühle gestellt und alle sind voll besetzt, so dass kein Zentimeter des Busses ungenutzt blieb. Über Christina im Gepäckfach befand sich ein lebendiger Hahn, der seiner Natur gemäß wiederholt zum Wecken rief, als die Sonne aufging.
Da er allerdings nicht sachgerecht verpackt war, musste er dann auf Geheiß des „Schaffners“ vom Besitzer noch in eine Tüte gesteckt werden – also nur der Kopf durfte rausschauen, ansonsten würde er zu viel Dreck produzieren. Wir müssen immer schlucken, wie hier mit Tieren allgemein umgegangen wird. Aber wie gesagt, wenn schon die Menschen schlecht behandelt werden, so kann es mit allem anderen eben kaum besser sein.

Was man noch so alles beobachten und dabei erleben darf, ist immer wieder faszinierend und so ganz anders als wir vom öffentlichen Reisen kennen. Überall entspannen sich Unterhaltungen. Geld wird weitergereicht, um Kleinigkeiten bei fliegenden Händlern zu erwerben, die schnell an den Bus gelaufen kommen, sobald er anhält. Jemand hört laut Musik und beschallt damit alle – völlig normal! Kleinkinder werden durch den gesamten Bus gereicht – fast jeder darf sie mal halten und bespaßen. Wie war das noch – um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf? Hier wohl eher einen ganzen Bus… Als das Kind jedoch Christina sah, blieb es skeptisch. Der Student machte Anstalten, es ihr herüberzureichen, doch das war dem Kind zu unheimlich. Um Tränen zu vermeiden, ging es schnell zurück zu Papa.
Als eine junge Reisende sich übergeben musste, wurde die Situation kurzzeitig laut und aggressiv. Denn sie hatte damit ein Bündel Kräuter verunreinigt, das eine Mitreisende zum Kochen gekauft hatte. Nun gab es wilde Schuldzuweisungen zwischen der Kräuterfrau und der Mutter des Mädchens, während es selbst beschämt versuchte, seinen Dreck wegzumachen. Wie froh war Christina, als sie schließlich aussteigen durfte und damit nach 5 Stunden der lärmenden Reisegemeinschaft entkam! Mit Sicherheit wurden die Kräuter dennoch an Mann oder Frau gebracht.
Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist hier extrem anders als in Deutschland. Dennoch kommt man von a nach b und an. Wobei ehrlicherweise auch gesagt werden muss: Das Reisen hier geschieht immer auf eigene Gefahr. Ein Blick auf das Vehikel, mit dem du fährst und auf das Szenario, das dir im Verkehr begegnet, lässt einen betend dankbar werden, wenn man heil ankommt! Und nicht wenige die dabei verunglücken!

Gegen 14 Uhr trudelten die beiden in Jui ein. Das letzte Stück ging es mit dem Taxi-Bike (Motorrad) zum Campus weiter. Ralf war schon an der Schule, um Nathanael abzuholen.
Diese spontane Reise war eine intensive und gute Zeit. Wie dankbar sind wir, dass alles gut geklappt hat.
