Wenn Regierungsmitglieder von Sierra Leone mit dem Auto unterwegs sind, wird zumindest beim Präsidenten im Vorfeld die komplette Route abgesperrt und gesichert.
Überall stehen dann vermehrt Polizei und Militär und fordern alle auf, an der Seite halt zu machen und zu parken, bis andere Anweisungen kommen. Das geschieht mitunter recht rüde.
Diese Personen fahren nie alleine, immer sind sie als Konvoi unterwegs. Vorne ein Fahrzeug mit Blaulicht oder Motorräder, dahinter Militärfahrzeuge teils mit Soldaten und Geschütz besetzt und dann dunkle Limousinen. Am Ende fährt dann noch ein Krankenfahrzeug und den Abschluss bildet dann wieder das Militär.
Wenn so eine Kolone dich auf dem Land erwischt, dir entgegen kommt, dann fahren die ersten Fahrzeuge wie Henker auf dich zu und harscharf an dir vorbei. Hupen, Lichtsignale und wildes Armewedeln, die dir zu verstehen geben, fahr rechts an und bleib stehen – schmeiß dich in den Graben – ansonsten ….

Das ist echt nicht ohne Risiko und bedrohlich. Denn immerhin dauert es ein Weilchen, bis man versteht, was genau einem da in einer Kurve bergab entgegenkommt. Da hier viele, viele Fahrzeuge einfach mit Lichthupe oder auch mal mit blauen Lichtern fahren (die blinken so schön!), ist das nicht wirklich ein gutes Erkennungszeichen.
Als Ralf mal wieder mit dem Auto in Freetown unterwegs war, sprang an einer Kreuzung eine Polizistin auf die Straße und gab das Zeichen anzuhalten. Das passiert schon mal, um Fußgänger oder Schulkinder durchzulassen. Aber hier stand niemand und die Dame war erbost, als mein Vordermann einfach an ihr vorbei fuhr.
Dann kam von rechts ein Militärfahrzeug und hielt mitten vor uns auf der vierspurigen Straße um alles abzusichern. Aha, also hier würde gleich eine Fahrzeugkolonne von der Regierung kommen!

Aus den Augenwinkeln sah Ralf, wie rechts auf der anderen Spur ein Bike an ihm vorbei über die Kreuzung fuhr. Dazu muss man sagen, Bike- und Kekefahrer hören hier generell auf gar nichts und fahren wie sie wollen. Das ist also völlig normal. Vielleicht hatte dieser hier gar nicht mitbekommen, dass vor ihm die Straße gesperrt wurde.
Doch der Fahrer des Militärfahrzeuges hatte es mitbekommen. Noch ehe der Bikefahrer vorbei war, setzte er zurück und nietete damit den Bikefahrer um. Einfach so – ganz normal – der ist selber schuld! Hier gehört es zur Kultur, Menschen physisch zu „züchtigen“. Das war in diesem Fall wohl auch so.
Da in dem Augenblick die Kolonne kam, blieb keiner stehen, um sich den Bikefahrer vorzuknöpfen. Dem war so auf den ersten Blick nichts Schlimmes passiert – aber belämmert guckte er schon aus der Wäsche.
Zwei Tage später, nachdem Ralf Nathanael von der Schule abgeholt und auf dem Rückweg nach Jui war, fuhren vor ihm Fahrzeuge mit Lichthupe. Wie gesagt, das machen hier viele.
Die Straße war zweispurig. Da Ralf etwas schneller unterwegs war, überholte er auf der rechten Spur das Fahrzeug vor ihm (das ist hier völlig normal!)

Als er jedoch auch das nächste Fahrzeug überholen wollte, scherte dies plötzlich auf Ralfs Spur aus und nur mit einem etwas beschleunigtem Bremsvorgang wurde eine Erstbegegnung der Fahrzeuge vermieden werden.
Da auch dies Fahrzeug Lichthupe hatte und Ralf wahrnahm, die anderen drei Fahrzeuge davor auch, dämmerte ihm, dass er hier in eine Kolone der Regierung geraten war. Einem Konvoi der Regierung muss immer Platz gemacht werden und die Fahrzeuge dürfen nicht getrennt werden. Also ließ Ralf an einer Stelle das überholte Fahrzeug des Konvoi vorbei. Die waren wie immer nicht sehr fröhlich, aber vermutlich dachten sie, ein Weißer versteht eh nichts.

Ralf blieb jedoch dicht hinter dem Konvoi. Zum einen fuhren die recht zügig und zum anderen mussten alle Fahrzeuge vor ihnen rechts ran und warten, bis sie – und auch Ralf – vorbei waren. Ist schon spannend sowas!
Zwei Ortschaften vor Jui sah Ralf, wie vor der Kolonne ein Truck schnell rechts abbog und stehen blieb. Alle Fahrzeuge der Kolonne fuhren ebenfalls rechts ran und umstellten den Truck. Aus dem Militärfahrzeug sprangen Soldaten – einer zog den Truckfahrer aus dem Führerhaus und schlug wild mit einem Stock auf ihn ein. Der Fahrer lag bereits am Boden und nun beteiligten sich auch andere Soldaten am Geschehen.
Sofort bildete sich eine Menschenansammlung. Autos und Menschen blieben stehen, lamentierten, diskutierten und wedelten wild herum. Warum das passiert ist, kann Ralf nur erahnen. Wahrscheinlich ist der Truckfahrer nicht sofort an die Seite zum Vorbeilassen gefahren und das hat die Gemüter erhitzt.
Diese Art von „Recht und Ordnung“ ist wie gesagt völlig normal hier. Ralf befremdet sie und so fuhr er lieber langsam an der Kolone vorbei und hoffte, er ist schneller in Jui am T.E.C.T., bevor diese ihn wieder einholt und sich vielleicht doch noch mit ihm „beschäftigt“. Hat er geschafft – genug Schrecken für einen Tag.
