Wie bereits erwähnt, war der Dezember extrem voll – Konferenzen – Abschlussfeiern – Weihnachtsprogramme und Hochzeiten – Festival Season eben. So gab es auf dem T.E.C.T. Gelände auch kein Wochenende, wo nicht mind. eine, wenn nicht bis zu drei Hochzeiten stattfanden.

Am letzten Samstag im Dezember hat dann auch die letzte gemeindliche Hochzeit ihren Platz eingenommen. Der Gemeindesekretär der Peace Baptist heiratete. Seine Zukünftige war Mitglied in einer der wenigen Huntington-Gemeinden in Sierra Leone. Ihre Gemeinde befindet sich in Jui nahe der Fischfabrik am Ende der kleinen Halbinsel. Für uns war es dicht dran und doch ein relativ unbekanntes Terrain. Keine Ahnung, wo diese Kirche liegt!
Christina hatte an diesem Tag die Einladung und Aufforderung, bei einer Veranstaltung der BCSL (Launch Meeting) in Freetown (Loko Baptist Church) teilzunehmen. So war klar: sie geht dort zu ihrer Arbeit und Ralf wird beim Hochzeitsgottesdienst sein.
Während Ralf noch bis 12 Uhr zum Gottesdienstbeginn Zeit hatte, musste sich Christina schon gegen halb 10 Uhr auf den Weg machen, um pünktlich zum Beginn um 10 Uhr da zu sein. Naja, pünktlich gibt es hier nicht – es fängt immer später an, aber uns steckt es eben in den Genen. Immerhin können wir dann sagen, wir waren pünktlich da und dürfen auch deshalb schon früher gehen, wenn es denn sein sollte.
Wer es noch nicht mitbekommen hat, dem sei gesagt, die BCSL (der Sierra Leonische Baptistenbund) feiert im April sein 50-jähriges Bundesbestehen. Das begleitet uns schon seit 2022 und jetzt kommt es immer dichter und beschäftigt alle Baptisten Gemeinden eindringlicher.

„Dies soll ein besonderes und gewaltiges Fest werden.“ Eine ganze Festwoche mit internationalen Gästen und Bünden – die BCSL will groß auffahren und dankbar feiern. „Es sollen Schweine – Hühner – Rinder – Ziegen – Lamm geschlachtet und aufgefahren werden, um die internationalen Gäste zu bewirten.“ Diese Vision wurde allen schon bei der letzten Bundeskonferenz vor Augen gemalt.
Fast jeden Sonntag wurde und wird in den Gemeinden auf dieses Fest hingewiesen und aufgefordert, Geld dafür zu geben. Jede Gemeinde muss einen bestimmten Geldbetrag einbringen. Auch darüber hinaus wird jede Menge an finanzieller Unterstützung erwartet und vorgeschlagen.
So war dieses „Launch Meeting“ weniger eine Konferenz, Tagung oder Gottesdienst, viel mehr war es eine Fundraising-Maßnahme, die wiederum einer Auktion glich.

Das haben wir 2022 bei einem Gottesdienst, in welchem Ralf predigen durfte, schon erlebt. Gute vierzig Minuten wurde gezeigt und genannt, welche Projekte man in diesem Jahr alles machen möchte – wieviel es kostet und dann wurde jeder Punkt einzeln behandelt – moderiert, angepriesen und gewartet, mit wie welchem Geldbetrag sich der Einzelne daran beteiligen wird. Damals hatte Ralf sich – innerlich – überlegt, ob er nicht doch das Thema der Predigt spontan ändern sollte, um über Johannes 2 zu predigen. Aber Englisch und spontan, schließen sich bei Ralf aus … – wie gut!

Zu diesem offiziellen Baptistentreffen gab es im Vorfeld ein Einladungsschreiben, in dem jede Gemeinde aufgefordert wurde, an diesem besonderen Tag und Zeit anwesend zu sein, bzw. Vertreter zum Treffen zu entsenden – natürlich mit der Vollmacht, entsprechende Zusagen zu machen.
Da am gleichen Tag wie gesagt eine gemeindliche Hochzeit stattfand, durfte Christina die Vertreterin unserer Gemeinde sein. Sie sollte ja ohnehin kommen. Sie hatte als Missionarin eine persönliche Einladung der BCSL erhalten.
In der Einladung war ein weiteres Schreiben enthalten, in welchem fünf Sponsorenpakete aufgelistet waren (siehe oben). Fünf mögliche Geldbeträge, mit denen man das Jubiläum finanziell unterstützen kann. Dafür gibt es dann als Bonus Produkte der BCSL: T-Shirts, Kappen, Kugelschreiber, Armbänder, Stoffe etc. Der Festwochenbesucher möchte ja mit einer kleinen Freude beschenkt werden und diese galt es eben zu finanzieren. Neben dem neuen Gebäudekomplex und Mauer in Lunsar – anderen Gebäuden und dem Festessen bzw. Unterbringung und Transport. Internationale sind schon ein aufwendiges Völkchen Mensch!
Der niedrigste Spendenbetrag lag bei 1.000 Leones, also ca. 50 Euro. Es ging dann im letzten Schritt auf 20.000 Leones, ca. 1.000 Euro rauf. Wir staunen immer wieder, die Erwartungen hier wahrzunehmen und fragen uns, ob das irgendeine Form von Satire ist.
Aber nun ja, uns war klar, wir möchten ungerne hierfür Geld ausgeben, das an anderer Stelle notwendig ist. So überlegten wir uns bei ca. 2.500 Leones anzusiedeln – wir wollen ja kein Ärgernis sein. Denn tatsächlich würde es Ärger nach sich ziehen, wenn wir uns entschieden, uns gar nicht zu beteiligen – diese Option gibt es hier für uns nicht!

Wirklich baff waren wir, wenige Tage vor dem Treffen ein Schreiben von Seiten der BCSL zu erhalten (per Whatsapp), in welchem das besagte Sponsorenschreiben angefügt war und praktischer Weise auch schon das Kreuz für uns ausgefüllt war. Mit dem also deutlich angezeigt war, für welches Paket (Betrag) der Förderung wir nominiert sind. Wäre das nicht auch eine hilfreiche Möglichkeit für den deutschen Bund und Gemeinden, haben wir uns gefragt …?
Nun …. unser Kreuz war beim fünften Paket – also an höchster Stelle gemacht – natürlich blieb es uns offen, noch mehr zu geben.
Im Klartext: Von uns als Familie wurde erwartet, den Betrag von mindestens 20.000 Leones (1.000 Euro) zu geben!
Da wir hier keinerlei Befugnisse haben und in einem autoritären System leben, ist es nicht einfach, damit umzugehen, bzw. darauf angemessen zu reagieren. Ignorieren geht nicht; reduzieren, ohne etwas zu sagen, auch nicht. Also wie damit umgehen?
In Beratung mit unserem Pastor vor Ort machten wir es so: Gebt einen Betrag, den ihr euch vorgenommen habt, in einen Umschlag und überreicht diesen vor der Veranstaltung direkt an den Präsidenten mit dem Hinweis, mehr geht nicht. Dann sollte alles ohne irgendwelche Irritationen in Ordnung gehen.
So kam es, dass Christina dem Präsidenten direkt vor der Veranstaltung den Umschlag mit dem vorher überlegten Hinweis zusteckte. Er bedankte sich freundlich, gab den Umschlag jedoch wieder zurück. Er würde während der Veranstaltung offiziell nach vorn gebracht, so dass alle es sehen. Christina hatte im Ohr, dass wir als Familie 5.000 Leones gesagt hatten, deshalb war der Umschlag mehr gefüllt als manch anderer gewillt war.
Auch eine andere Missionarin konnte nicht den Betrag geben, für den sie nominiert worden war, und hatte ebenfalls im Voraus mit dem Präsidenten das Gespräch gesucht. Es gab also keinerlei Diskussion. Dafür waren beide sehr dankbar.

Die ganze Veranstaltung dauerte fast vier Stunden. Da Christina nicht beim höchsten Paket angesiedelt war, kam sie um einen Wortbeitrag herum. Interessant erschien uns, dass EBMI auf dieser Veranstaltung mit keinem Wort Erwähnung fand, obwohl von dieser Seite extra für das Bauprojekt erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt worden waren!?! Aber das kommt sicher noch bei der Festwoche im April.
Derweilen machte Ralf sich kurz vor 12 Uhr fertig für den Gottesdienst. Er hatte Denis gebeten, ihn um 11.45 Uhr mit dem Bike abzuholen, um ihn zur Hochzeit zu fahren. Selbst er als gebürtiger Einwohner von Jui hatte noch nie von dieser Gemeinde gehört und wußte nicht, wo diese sein soll. Deshalb machte er sich einige Tage vorher auf, um zu eruieren, wo die Gemeinde tatsächlich ist.

Damit Ralf weiß, dass er diese Gemeinde gefunden hat, schickte er ihm ein Foto – kleine Kapelle, davor Stühle im Freien. Ralf dachte nur – auweia – wenn die Gäste / Besucher draußen unter der prallen Sonne sitzen, wird das eine kurze Angelegenheit für ihn.
Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Gegen 11.50 Uhr war Denis nicht zur Stelle und auch nicht zu erreichen. Wie sich später herausstellte, hatte er einen Notfall und schaffte es nicht. Ralf ging einfach zum Gate an die Straße und ließ sich ein offizielles Bike rufen. Dann erklärte er, wo die Gemeinde sein sollte.

Im ersten Anlauf wusste der Bikefahrer nicht wohin – im zweiten war er dann recht sicher … So brachte er Ralf an eine Stelle abseits der „Hauptroute“ – dort war ein großes Gebäude, davor viele Stühle und Menschen. Das ist der Ort, meinte er und verabschiedete sich.
Es sah eher wie eine Gemeindeversammlung aus – da predigte auch schon einer – also war es im vollen Gange und kurz nach 12 Uhr konnte es gar nicht die besagte Hochzeit sein. Es war stattdessen eine Gemeindefreizeit, die hier von mehreren Gemeinden durchgeführt wurde.
Ralf fragte sich bei den Umstehenden durch, hier soll eine Gemeinde sein, in der heute eine Hochzeit stattfindet? Ja – immer weiter – in diese Richtung. Das führt über einen kleinen „Marktplatz“, wo Kinder und Frauen Wäsche machten und sich wuschen, an Hinterhöfen, Wäscheleinen und Häusern vorbei. Beim letzten Stück wurde er dann schließlich durch die Außenbeschallung – die Musikprobe – geleitet.

Es war bereits kurz nach 12 Uhr, doch außer Ralf waren nur ein paar wenige Besucher da. Da er aber den anwesenden Bräutigam wahrnahm – war in jedem Fall geklärt, das es die „richtige“ Kirche mit Hochzeit sein würde! Erleichterung!
Gegen 1 Uhr wurde dann auch bei anderen eine gewisse Ungeduld wahrnehmbar. Jeder Kirchenbund hat ein paar lizenzierte Personen (Pastoren), die im Auftrag dieses Kirchenbundes eine Trauung durchführen dürfen. Und offensichtlich werden diese Personen für eine Trauung bezahlt und das beinhaltet eine fest umrissene Zeit.
Denn dieser meinte gegen 11 Uhr, dass es nicht gut ist, so unpünktlich zu sein und das Brautpaar wird die Mehrzeit im Anschluss extra zahlen müssen! Interessant!

Ralf erinnert sich noch an eine Hochzeit vor vielen, vielen Jahren in Bonn. Auch dort hatte die Braut geraume Zeit auf sich warten lassen ….
Gegen 1.30 Uhr konnte der Gottesdienst schließlich losgehen. Es war ein sehr schöner, wenngleich auch etwas chaotischer Gottesdienst – wie meistens, scheint uns. Der Zeremonienmeister hatte seine Lesebrille zu Hause vergessen und stotterte sich folglich durch die Abläufe und Namen. Zeitweise hingen sie mit drei Handys und deren Lampen über dem Text, um ihm beim Entziffern zu helfen.
Die Gemeinde war klein und brechend voll. Handys bzw. Kameras sind ja heutzutage nicht mehr wegzudenken, wenn es um derartige Ereignisse geht. Zudem waren drei „professionelle“ Fotografen engagiert – man will ja wirklich alles von diesem besonderen Tag festhalten! Leider oftmals mit dem Effekt, dass kaum etwas von den Gästen gesehen werden kann – weil davor die Fotografen – Handys etc. stehen und deren Väter in keinster Weise Glaser waren.
Abgesehen davon verhindert diese Wichtigtuerei auch so manch besonderen Moment. Ralf hat es nicht geschafft ein einziges Bild vom Brautpaar zu machen, in welchem nicht auch Kameramann/-frau drauf sind. Hätten diese mal bei Michael Schanze 1 – 2 oder 3 gelernt …

Beim Segnen durfte Ralf als Pastor nach vorne kommen und auch beim Unterschreiben der Eheurkunde seinen Servus leisten. Danach machte er sich auf den Rückweg zum Campus. Dort sollte kurz darauf die Nachfeier stattfinden. So konnte er sich noch mal ein Päuschen gönnen und gucken, ob es dem kleinen Nathanael an etwas mangelt.

Kurz vorher war auch Christina wieder eingetrudelt – wir konnten uns kurz austauschen und machten uns gegen 16.30 Uhr auf zur Feier, die direkt hinter dem Haus auf dem Festgelände des T.E.C.T. stattfand.

Die Zeit bis dann das Brautpaar eintrudelt haben wir mit Pastor Abu und seiner Frau Fatmatha verbracht. Die Gäste waren schon zahlreich vorhanden, die Musikanlage hämmerte und ein armer Tropf (ein DJ) versuchte sich als Alleinunterhalter. Das ist hier überall so und man mag es uns verzeihen – es ist furchtbar! Aber gut, wir sind ja auch nicht die Zielgruppe und dem DJ gefiel es wohl. Wobei DJ nicht so ganz das trifft, was unsereiner darunter kennt. Hier werden diese DJ´s eingekauft, um das Publikum zu unterhalten – Witze – Geschichten – Singen – Tanzen – um Geld bitten – nun ja – Zeit überbrücken.
Aber, was soll man sagen, der Anfang zeigte, wie es weiter gehen würde. So wartete die gesamte Gesellschaft bis gegen 18.30 Uhr, bevor das Brautpaar schließlich eintraf.

Es ist üblich, dass das Brautpaar gemeinsam unter Musik und Tanz „einzieht“. Das war auch diesmal geplant. Allerdings sollten nun erst mal die kleinen Brautleute, dann die Trauzeugen (jedes Paar einzeln), dann die Brauteltern bzw. Godparents und last not least das Brautpaar selbst einziehen.
So standen die Brautleute gute 45 Minuten hinten und warteten, bis schließlich alle anderen unter Beifall und mit zahllosen Schnappschüssen eingezogen waren, bis der DJ sein Programm abgespult hatte – sie letztlich einziehen durften und das offizielle Programm beginnen konnte. Wir machten uns nach dem Essen, das nebenher gereicht und auf den Knien balanciert gegessen wird, vom Acker. Inzwischen war es dunkel und die Moskitos griffen an. Auch für sie war die Hochzeit ein Festmahl!

Morgen war ja Sonntag und es wird erwartet, dass man im Gottesdienst ist (auch vom Brautpaar). Irgendwann ist es dann auch mal gut! Wir fielen müde ins Bett.
Der Gottesdienst am nächsten Tag war zu Beginn eher dürftig besucht – doch gegen 11.30 Uhr war dann doch ne ganze Menge Volks da. Auch das Brautpaar war eingetrudelt und wurde herzlich begrüßt, offiziell willkommen geheißen und gesegnet.

Und wieder war ein volles Wochenende vorüber – und siehe, es war gut. Gott sei´s gedankt, die letzte Hochzeit … in diesem Jahr (2023).
