Lunsar 12/2023

Im Dezember fand erneut nach Semesterende und Graduierung das nächste Blockseminar in Lunsar am Baptist Theological Seminar (BTS) statt. Dies gehört, ebenso wie die Lehrtätigkeit am T.E.C.T., zu Christinas Aufgaben als Dozentin.

Dreimal im Jahr für jeweils zwei Wochen gibt es diese Möglichkeit auf dem BTS. Der Kurs im Juli ist für Christina generell aufgrund des Heimataufenthaltes nicht möglich. Dezember und April ist sie jedoch ein fester Bestandteil der Fortbildungsmaßnahmen.

Das Blockseminar wird vom Baptistenbund (BCSL) auf seinem Gelände in Lunsar (BTS) angeboten. Auf diesem befindet sich auch die über die Grenzen hinaus bekannte „Augenklinik“. Ein großer Compound, wobei wir immer wieder rätseln, ob das T.E.C.T. oder BTS Gelände größer ist?!? In jedem Fall ist das T.E.C.T. Gelände deutlich besser gepflegt und überschaubarer – was sehr angenehm zum Wohnen und Leben ist.

Die Blockseminare sind für Pastorinnen und Pastoren der BCSL eine Fortbildungsmaßnahme und teilweise einzige Möglichkeit von Unterstützung in ihrem jeweiligem Gemeindedienst. Oftmals eine Unterstützung in ihrem pastoralen Dienst, für den sie vorher keine Ausbildung erhielten. Manch einer hat auch keinen Schulabschluss. Nicht wenige, die aus der Not heraus zum Pastor oder Pastorin in den Provinzgemeinden bestellt wurden. Bei keinem oder nur geringfügigem Gehalt ist es eben nicht sonderlich attraktiv zu arbeiten und sich dauerhaft einzusetzen, wenn man zum Lebensunterhalt der Familie anderweitig sorgen muss.

So ist es immer wieder eine Freude, die alten und jungen Kollegen, die so voller Motivation und Berufungsgewissheit sind, wahrzunehmen und ihre Geschichten zu hören.

Zweimal hat Christina bisher daran teilgenommen und manche der  baptistischen Kollegen aus den Provinzen kennen gelernt. Spannende und erlebnisreiche Tage und Begegnungen gehabt. Bisher hat sie bei Ehepaar Oosterloo gewohnt (Hans ist holländischer Missionar der EBMI gewesen, jedoch seit Jahren in Rente), doch die gesundheitliche Verfassung von Aisha, seiner Frau ließ das dieses Mal nicht zu. So würde Christina in einem der Häuser auf dem BTS Campus wohnen. Das ….. kann ja spannend werden ….

Die Seminarteilnehmer müssen die Fahrtkosten und Verpflegung selber übernehmen, dafür hat weder der Bund noch die Gemeinden das Geld. So ist die Teilnahme in den vergangenen Jahren stets zurückgegangen.

Die Hütte

Beim ersten Blockseminar unter dem Mitwirken von Christina waren 8 Teilnehmer anwesend. Beim zweiten waren es schon 12 Teilnehmer. Nun haben sich für dieses Mal mehr als 20 Personen angemeldet und 24 waren dann letzten Endes da. Zwei Teilnehmer kamen erst am Mittwoch hinzu, vorher war es Ihnen nicht möglich. Sie kommen aus weit, weit weg und von dort ist es überhaupt schwierig und zeitaufwendig einen Transport zu ergattern.

Beim ersten Kurs hatten wir festgestellt, dass auch für die Verpflegung nicht gesorgt war und die Teilnehmer Hunger hatten – schon Tage zuvor nichts gegessen haben. So haben wir beschlossen für diese Tage, was die Verpflegung angeht, Sorge zu tragen. Wir haben Reis und anderes besorgt – eine Pastorin hat gekocht und so hatten alle Teilnehmer zum einen eine fröhliche Tischgemeinschaft und zum anderen für zwei Wochen mal jeden Tag etwas im Magen!

Manche der Verpflegung und Literatur für Lunsar

Auch dieses Mal haben wir das gemacht und für 25 Personen Verpflegung gewährleistet – wir sind dankbar, dass uns das möglich ist. Es rührt und beschämt, wenn wir hören, sehen und lesen, was das den Teilnehmern bedeutet!

Nach Graduierungsfeier und Hochzeit (Samstag) sollte es also direkt am nächsten Tag nach Lunsar gehen. Ralf würde Christina wieder hinfahren und abliefern, um dann  nach Jui zu Nathanael zurück zu kehren – Schule – Haushalt und ein bisschen mehr.

Predigt Rev. Christina Döhring Emmanuel Baptist Church

Der Präsident der BCSL hatte Christina noch kurzerhand an diesem Tag in die baptistische Muttergemeinde nach Kingtom zum Predigen eingeladen. So fuhren wir also Sonntag morgens zum Gottesdienst nach Freetown, um direkt von dort nach Lunsar zu starten. Die Fahrt dauert so um die zwei Stunden und da Ralf vor der Dunkelheit zurück sein muss, war klar, wir werden spätestens gegen 12 Uhr den Gottesdienst verlassen müssen. Kein Problem, meinte der Präsident, bis dahin ist deine Predigt und dein erbetenes Musikstück vorüber … Es klappte ….. knapp – war aber gut und so ging es dann auf nach Lunsar.

Wie schön, Raili Huhtala eine EBMI
Missionarin aus Finnland ist gerade wieder zu ihrem nächsten Einsatz angekommen. Sie wohnt auf dem Gelände der Emmanuel Baptist Church und arbeitet mit der BCSL um Fortbildung von Lehrern anzubieten.

Im Auto hatten wir noch Emmanuel und Nenneh, seine Frau, die da war schwanger. Da fallen uns doch gleich ein paar Parallelen ein …

Emmanuel und Nenneh

Emmanuel hat sein Studium im Juni erfolgreich beendet. Nach fünf Monaten war dann auch endlich klar, in welcher Gemeinde er seinen Dienst antreten sollte (in den Wesley-Gemeinden werden Pastoren den Gemeinden zugeteilt ohne Mitspracherecht). Aber bis zu diesem Tag konnte er dort nicht beginnen – Umzug – Wohnung – Kosten – welche sein Bund übernimmt waren nicht vorhanden und so verzögerte sich alles ein ums andere Mal. Da sie seit dem Sommer weder Studenten sind noch in einer Gemeinde arbeiten können, erhalten Sie keinerlei finanzielle Unterstützung mehr. Eine extrem schwierige Situation. Wir haben diese Familien (waren nicht die einzigen) immer wieder mal unterstützt. Emmanuel ist einer der Mentees von Christina. Er hat in den letzten Wochen am T.E.C.T. gelebt, seine Frau war bei ihrer Familie, so haben wir ihn jeden Tag mitverpflegt.

Ihr Kind wird Mitte Dezember erwartet und sie hoffen, dass Nenneh vorher ihre einwöchige theologische Fortbildung erfolgreich abschließen kann.

Nenneh – bald ist es soweit

Wir nehmen sie also bis Lunsar mit und dann machen sie sich weiter auf den Weg nach Makeni – wo Nenneh die Fortbildung absolviert, bei ihrer Familie bleibt und das Kind bekommt. Emmanuel reist eine Woche später weiter an seinen Einsatzort nach Kenema. Es ist immer wieder spannend, diese jungen Menschen zu hören, zu erleben und Leben teilen zu dürfen. Nenneh wird nachkommen, wenn das Baby da ist.

Die Fahrt nach Lunsar war diesmal deutlich länger und zeitaufwendiger – was nicht am Auto oder Fahrer lag, sondern an den Kontrollen (Checkpoints). Die Straße bis nach Lunsar ist eine relativ gut ausgebaute, von den Chinesen errichtete Straße. Sie bauen und erhalten dafür Mittel und haben an drei Stellen Mautstellen. Diese Maut geht 25 Jahre lang an die Chinesen. Wer solche Verträge schließt, macht sich mitschuldig am desolaten Zustand des Landes. Das funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip – Investoren werden gesucht und überwiegend bei Chinesen oder Türken gefunden. Die vertraglichen Vereinbarungen sind langfristig bindend und immer zu Ungunsten des Landes. Da aber die Vertragspartner aus Sierra Leone persönlich große Summen bzw. Zuwendungen erhalten, gibt es wenigstens ein paar einzelne Gewinner aus solchen Verhandlungen.

Hastings – eine der drei Mautstellen

Wie auch immer, diese drei Mautstellen gab es schon immer und das läuft routiniert ab, keine großen Staus oder Aufwendungen. Dann gab es auf der Strecke bisher noch einen weiteren Checkpoint durch Teile der Polizei. Diese sind wie meist unnötig – zeitaufwendig und es geht immer um Geld „appreciation“.

Checkpoints durch die Polizei gibt es überall im Land an jedem Ort oder Stadtteil. Diese sind überwiegend „nur“ ab Dunkelheit besetzt und kontrollieren oder drangsalieren Nachtschwärmer – gerade im Dunkeln ist jeder suspekt. Hat sicher auch Gutes – auf der anderen Seite wird uns immer wieder deutlich von den Einheimischen gesagt, nie nach 21 Uhr mit dem Auto unterwegs zu sein, da an den Checkpoints ungeplante Willkür erlebt werden kann. Da wir ab Dunkelheit nicht mehr fahren, stellt sich für uns dieses Problem eher selten, zum Beispiel wenn wir mit dem Flieger anreisen oder auf Konferenzen oder Hochzeiten gefragt sind, sonst nicht. Da bitten wir Amado uns zu fahren und er nimmt nach 21 Uhr irgendwelche abenteuerlichen Schleichwege …

Ungefähr die hälfte liegt hinter uns …

Während also in Freetown die Kontrollen tagsüber gar nicht mehr stattfinden, sieht das auf dem Weg hinter Jui in die Provinzen ganz anders aus. Schon im Nachbarort Waterloo kamen wir in einen längeren Stau. Wenn der Verkehr sich staut, hat es zu 30 Prozent mit dem Ent- und Beladen von Taxis zu tun – zu 20 % mit einem Unfall und zu 50 % mit dem Verkehrsregeln von Polizei oder Militär. Und ganz ehrlich – das ist immer Sinnentleert und chaotisch – warum, weshalb, wieso!?

Einer der Checkpoints – eine kleiner Durchgang für beide Seiten – Fahrgäste rechts und links – parkende und liegengebliebene Fahrzeuge – hier kam eine eine Kolone von Bussen – alle Fahrgäste vorher raus und hinter dem Checkpoint wieder einsteigen …

Insgesamt gab es nun auf dieser Strecke 8 aktive Checkpoints neben den drei Mautstellen. Eine Fahrt nach Lunsar, die normalerweise in 1,5 – 2 Stunden zu schaffen ist, dauerte nun 3 – 4 Stunden.

Polizei und Militär eher teilnahmslos – Händler dafür sehr aktiv

Offensichtlich hat das Militär und die Polizei die Gunst der Zeit genutzt und die durch den Putsch angeordneten Checkpoints beibehalten, auch tagsüber. So stehen bzw. rutschen wir Zentimeter für Zentimeter nach vorne – erleben liegengebliebene Autos (manch Auto können mit Stillstand schlecht umgehen) – parkende Fahrzeuge (einkaufen – Nickerchen oder Essen). Auf dem Seitenstreifen (Wiese) vorbei fahrende Transportmittel, um dann unendlich viel später irgendwann an einer Sperre zu stehen, mit Soldaten / Polizisten, die kurz reinschauen – fragen, wie es geht – auf Baptisten oder Missionare eingehen – Geld, Gebete oder Essen haben wollen und einen irgendwann weiterziehen lassen.

Kein Parkplatz!!! Sondern die Fahrbahn – links wird verkauft – rechts geparkt und dazwischen beides.

Auffällig ist der Menschentross, der diese „Checkpoints“ umgibt. Überall Händler mit ihren fliegenden Waren für die Autofahrer und Passagiere – Essen – Trinken – und andere Dinge feilbieten. Das ist so auf dem ganzen Weg. Checkpoints – Händler und lange Wartezeiten – Polizisten, die einen am Ende durchwinken – Alles nur KEINE KONTROLLEN!

Wir vermuten, jeder Polizist / Militärangehörige hat mit Sicherheit Verwandte / Familie, die hier ihre Möglichkeit haben, Waren an den Mann zu bringen und sich damit den Lebensunterhalt zu sichern.

Denn auf der einen Seite wissen wir, dass viele von der Regierung angestellte Polizisten oftmals über längere Zeiträume kein Gehalt erhalten – wovon sollen sie und ihre Familien also leben?

Auf der anderen Seite aber ist es schlicht und ergreifend ein Missbrauch ihrer Autorität und ihres Amtes. So macht man ein Land auf Dauer kaputt! Gerade für uns Deutsche mit unserem Rechtsempfinden ist das schwer zu tolerieren.

Als wir endlich in Lunsar am BTS ankamen, verabschiedeten sich Emmanuel und Nenneh, um sich auf die Weiterreise zu machen. Ralf brachte Christina zum Haus, in welchem sie diese Woche unterkommen würde. Ja, das war … gewöhnungsbedürftig. Vor mehreren Jahrzehnten hatte in diesem Bungalow eine Augenarztfamilie aus Europa gelebt. Seitdem wurde daran nichts mehr gemacht. Immerhin gab es ein funktionierendes WC (allerdings ohne Klobrille), wofür sie sehr dankbar war (also für das erstere). Der Rest war auf Improvisation angewiesen. Die Aussicht auf Strom war gering. Die Unterkunft rudimentär – Hygiene und Sauberkeit … ausbaufähig. Sie überlebte – ein zähes Mädchen.

Im Haus

Die Leute vom BTS und auch die Studierenden begrüßten sie sehr freundlich und dankbar. Der Unterricht begann um 7.40 Uhr morgens – sie hatten eine Mittagspause und danach ging es dann bis nach 18 Uhr. Morgens besorgte sie für die Teilnehmer Kekse, damit diese etwas im Magen hatten und mittags gab es dann eine leckere warme Mahlzeit.

gute und intensive Einheiten

Einige der Teilnehmer kannte sie aus den bisherigen Blockseminaren. Es war schön, dort anzuknüpfen. Mit dem Studenten Aruna besuchte sie eine christliche Schule, die seit drei Jahren besteht. Die Tante seines Freundes Moses ist Pastorin und Gründerin / Verantwortliche der Schule.

Mit dem Studierenden Pastor Jonathan war sie in dessen Pfingstgemeinde, um dort zu predigen – auch das ein Erlebnis. Eigentlich wollte sie einfach dabei sein und zusehen, um vom hiesigen Befreiungsdienst zu lernen. Sie wurde jedoch darum gebeten zu predigen. Sie suchte anschließend das Gespräch mit diesem jungen Pastor, um einige uns ungewohnte Gewohnheiten des Gebetes durchzusprechen. Auch das war eine Erweiterung ihres Horizontes, unter welchen Bedingungen hier Leben und Gemeindearbeit funktioniert.

Noch viele andere tolle Erlebnisse und Begegnungen hat Christina im Gepäck. Gerade die Bibelarbeiten am Morgen vor den eigentlichen Vorlesungen haben große Freude gemacht. Über dienende Leiterschaft zu sprechen in einem Land mit großer Machtdistanz ist spannend. Gottes Weg mit Jona zog sich wie ein roter Faden durch die Vorlesungen. Und das Thema Wiederkunft von Jesus hat uns ebenfalls beschäftigt. Nach anfänglicher Skepsis der neuen Studierenden ist das Eis schnell gebrochen und die Diskussionen wurden anregend und tief.

Die Menschen sind unendlich dankbar – fröhlich und freundlich. Immer wieder erleben wir ihre Wertschätzung und wie unsere Anwesenheit sie ermutigt. Die extreme Dankbarkeit ist teilweise nur schwer zu ertragen. Ein Studierender meldete am Ende erstaunt zurück, wie schön es sei, im Unterricht auch mal zu lachen und eine entspannte Atmosphäre zu erleben.

wie gesagt lange Einheiten und intensive Tage

Während dieser Woche erreichte Christina eine Nachricht eines Studenten vom T.E.C.T., zögerlich und zerknirscht, den sie nur vom Sehen kennt. Er ist in ihrem Samstagskurs, eine große Gruppe, die sie nur eine Stunde pro Woche hatte. Er ist in Not. Seine Schwester hatte ihm zugesichert, sein Studium zu finanzieren. Nun ist sie in der Türkei im Gefängnis und nicht zu erreichen. Die erste Rate für das Studium hat sie noch bezahlt, die nun anstehende ist ausstehend. Er befürchtet, er muss sein Studium abbrechen – dabei stehen doch diese Woche Prüfungen an. Sofern er nicht zahlt, war das Semester umsonst. Er fragte nach Gebetsunterstützung.

Student Osmann

Im Austausch entschieden wir, ihm die notwendigen 75 Euro zu geben. Christina informierte ihn, dass er das Geld bei Ralf am T.E.C.T. abholen kann. Als er kam und Ralf ihm das Geld überreichte, war er sichtlich gerührt und bewegt. Während Ralf denkt, der verbeugt sich aus Dankbarkeit, befindet er sich kniend vor Ralf, umfasst seine Füße und küsst sie. O Mann – hätte ich mir mal die Füße gewaschen …

Spaß beiseite, da weiß man einfach nicht, wie man damit umgehen soll. Er soll Gott dankbar sein und ihm das Lob geben – wir sind nur Boten oder Vermittler. Am Abend schrieb er dann auch noch eine Nachricht an Christina voller Dank und Freude. Was soll man zu all dem sagen, wie damit umgehen? Es gelingt uns nur im Blick auf Gott, ihm die Ehre zu geben, was er uns aufs Herz legt und er tut – nicht unser Verdienst!

Im Gegenteil. Die Armut, Not, das Leid und teilweise auch Perspektivlosigkeit beschämt uns als reiche westliche Bürger zutiefst. Was für eine Ungerechtigkeit, aber auch, was für Chancen und Gelegenheiten, wenn wir eben nicht unsere Augen und Herzen verschließen, sondern auf den hören, der uns berufen hat.

Eine Woche später machte Ralf sich morgens wieder auf den Weg nach Lunsar, um Christina abzuholen. Same Procedure as last time mit den Checkpoints – armes krankes Land.

Eine anstrengende und volle Zeit liegt hinter uns Dreien – aber auch eine, die uneingeschränkt erlebnisreich war und dankbar macht!

und der ganze Kurs 12/2024