Im Heimataufenthalt wurden wir immer mal wieder gefragt, wie es weitergegangen ist mit dem Diebstahl am T.E.C.T. und dem jungen Studenten, der verdächtigt wurde und geflohen ist.
Zur Erinnerung. Ende Januar war Ralf mit der Buchhalterin vom T.E.C.T. bei der Bank, um Geld für Baumaßnahmen auf dem Gelände und für die Monatsgehälter aller Mitarbeitenden auszahlen zu können. Viele haben kein Konto und machen das cash. Auch die Handwerker werden bar bezahlt. Das Geld wurde wie immer im Büro der Buchhalterin eingeschlossen, um am nächsten Tag ausgezahlt zu werden. Nur wenige sind in diese Abläufe involviert und haben Kenntnis davon.

In der drauffolgenden Nacht wurde vom nebenanliegenden Lehrsaal über die Zimmerdecke ins Büro der Buchhalterin eingestiegen. Das war genau in der Ecke, wo der abgeschlossene Schrank mit dem Geld stand. Es wurden ca. 5.000 Euro entwendet – die Gehälter für den Monat Januar. Der Lehrsaal wurde nicht aufgebrochen, sondern mit dem Schlüssel aufgeschlossen, der daraufhin verschwunden ist.
Es war klar, es muss sich um einen Insider handeln – aber wer? Die Polizei wurde eingeschaltet und alle Personen, die in Frage kamen oder für das Geld verantwortlich waren, sollten sich auf einer Polizeiwache einfinden und verhört werden.

Der einzige, der zu seinem Termin nicht erschien und dann spurlos verschwunden blieb, war ein junger Student, der gerade seinen Bachelor abgeschlossen hatte. Er war wie ein Ziehsohn für den Rektor des Colleges. Als Kind hatte er früh seine Eltern verloren und war mit zwielichtigen Menschen unterwegs, doch dann nahm ihn die Familie des Rektors auf, finanzierte seine Schulausbildung, das Studium und Leben (Kleidung, Nahrung etc).
Wir lernten ihn als bescheidenen, willigen und sehr höflichen jungen Menschen kennen, äußerst intelligent, musikalisch und Christ. Er wollte Lehrer oder Pastor werden und nun, nach erfolgreichem und gutem Abschluss, stand ihm … die Welt offen.
Zum Verhör ist er nicht erschienen und tauchte auch nicht mehr auf – keiner konnte ihn mehr erreichen. Er blockierte sämtliche Kontakte vom T.E.C.T. Der Rektor war natürlich furchtbar verletzt und enttäuscht – sollte es tatsächlich so sein. Zumindest musste er mit dem Diebstahl zu tun haben, oder etwas wissen – warum sonst taucht er unter und ist für niemanden zu erreichen?
Es war nicht sicher, ob die Dozenten und Arbeiter im Januar überhaupt Geld erhalten würden, aber auch das klappte – der Rektor nahm persönlich einen Kredit auf, um seine Mitarbeitenden zu versorgen. Er zahlt ihn bis heute ab.
Alle suchten nach dem jungen Mann, versuchten Kontakt zu halten, aber nichts. Doch zweimal notierte Christina auf ihrem Handy den Versuch des Studenten, mit ihr Kontakt aufzunehmen – was letztlich nicht zustande kam. Zumindest konnte Christina feststellen, dass er ihre Nachrichten an ihn erhielt. Sie schrieb ihm regelmäßig, obwohl er sie blockierte, und betete weiterhin für ihn.

In Deutschland bekam Christina eine neue Nummer. Diese war logischerweise nicht blockiert und so drang eine ihrer whatsapp Nachrichten an ihn durch. Ein Kontakt entstand und er antwortete. Sie vereinbarten ein Treffen, sobald wir wieder nach Sierra Leone zurückkehren würden. Er beteuerte in mehreren Nachrichten, dass er unschuldig sei. Es habe eine Verschwörung gegeben und er sei das Opfer. Er habe nie etwas mit einem Diebstahl zu tun gehabt. Christina plante, sich mit dem Rektor abzusprechen, bevor sie sich mit ihm treffen würde.
Als wir nach Sierra Leone zurückkehrten, erfuhren wir von weiteren Entwicklungen: Kurz vorher war der junge Mann von einem der Dozenten „zufällig“ auf dem Markt in Waterloo gesehen worden. Der rief die Polizei – die Station war fünf Meter weiter – und er wurde gestellt. Der Dozent teilte den Polizisten mit, dass der junge Mann polizeilich gesucht wird, auf der Flucht ist und im Verdacht steht, ein Dieb zu sein. Dieser schob zunächst alle Schuld auf den, der ihn geschnappt hatte. Dann jedoch gab es keine Ausrede mehr und er gab alles zu. Er kam aufs Revier und ist seither festgesetzt.

Nun sitzt er in Untersuchtungshaft und wartet auf den Prozess. Dazu müssen alle Zeugen vor Gericht erscheinen, werden befragt und dürfen erneut ihre Aussage machen. Dies hatte jeder vorher schon auf einer der Wachen gemacht – aber so ist das eben. Da die Zeugen an unterschiedlichen Tagen ihre Aussage vor Gericht machen, zieht sich das hin und zu jedem dieser Prozesstage wird der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft herbeigefahren, um persönlich anwesend zu sein und etwas sagen zu dürfen.
Als wir vom Rektor davon hörten, fragten wir, ob wir den jungen Mann besuchen dürfen. Das aber verneinte er – für Ausländer ist im Gefängnis kein Zutritt. Er erzählte uns erneut seine Geschichte mit dem jungen Mann. Die Verletzung und Enttäuschung auf Seiten des Rektor war deutlich spürbar – wen wundert es.
Und sicher, der junge Mann ist schuldig geworden, hat andere hintergangen und verletzt. Er hat Strafe verdient und muss nun die Konsequenzen tragen. Aber wir denken, er muss auch wahrnehmen, dass es Hoffnung gibt. Es ist wichtig, dass Menschen da sind, die ihn nicht komplett ablehnen oder nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen. Gerade dadurch kann etwas von Gottes Charakter aufleuchten – Liebe, Vergebung, Gnade – Hoffnung.
Als ein Dozent zur Aussage vor Gericht erscheinen sollte, fragten wir, ob Christina ihn begleiten dürfe. Er hielt Rücksprache mit dem Rektor und der Polizei am Gericht. Da nichts dagegen sprach, ging es letzten Mittwoch für Christina zum Gericht, begleitet von Dozent Edison – oder umgekehrt.

Die Verhandlung war auf 10 Uhr angesetzt, aber Zeit ist relativ – der Gefangenentransport war noch nicht da, also warten. Die Besucher und Zeugen begaben sich in den Verhandlungssaal und nahmen auf den Holzbänken Platz. Ralf liebt Stühle – da hat jeder seinen! Bänke sind nicht gut, nicht hier. So schoben sich, wo normalerweise drei Menschen Platz finden, sechs drauf. Eine Sardine in der Dose hat noch mehr Luft und Möglichkeiten. Hier sitzt man nicht nur dicht an dicht, sondern im Grunde mehr oder weniger aufeinander – fröhliches Transpirieren. Es war so eng, dass Christina nicht einmal beide Arme nach vorne bringen konnte, um ihre Tasche zu öffnen. Die Frage, die sich dann immer stellt: ob man sich im Anschluss überhaupt noch voneinander lösen kann – weil man festklebt.
Gegen 11 Uhr waren alle zusammen, der Richter betrat den Saal – alle Anwesenden erhoben und verneigten sich. Als sich der Richter setzte, auch alle anderen. Die Gefangenen würden erst zu ihrer Verhandlung den Raum betreten – so war noch keiner von Ihnen im Saal, sondern in einer Zelle nebenan. Der Fall des Studenten war an dritter Stelle. Wenn ein neuer Gast den Saal betrat, verneigte er sich tief vor dem Richter.

Dann fing der Richter an und teilte der versammelten Runde mit, dass die Gerichtsschreiber an anderer Stelle zu tun haben, keiner anwesend ist und auch heute keiner mehr kommen wird. Für ein rechtlich anerkanntes Gerichtsverfahren muss aber ein Gerichtsschreiber anwesend sein. Somit wurde entschieden, dass heute keine Verhandlungen stattfinden und nun alle wieder nach Hause gehen können. Nächsten Dienstag soll es weitergehen.
Da Edison um den Wunsch von Christina wusste, ein paar Worte mit dem Studenten sprechen zu können, trat er an einen der Polizisten im Gericht heran und fragte, ob das möglich ist.
Edison kam zurück, druckste rum und somit war klar: gegen einen kleinen finanziellen Beitrag der Anerkennung wird es Wirklichkeit. Christina und Edison wurden in einen Raum geführt, der auf der einen Seite mit jeder Menge Polizisten gefüllt war, auf der anderen Seite zwei vergitterte Türen in unbeleuchtete Zellen hatte. Der Student wurde gerufen und arbeitete sich durch die anderen Gefangenen hindurch bis zur Gittertüre. Christina konnte seinen Kopf und zwei Arme sehen. Ein Leuchten ging über sein Gesicht und es war richtig, hier gewesen zu sein.

Christina sagte ihm, was ihr auf dem Herzen war. Sie erinnerte ihn daran, dass es um seine Beziehung zu Gott geht, die er in Ordnung bringen soll. Dass Gott sein Herz sucht und nach seiner Liebe zu ihm fragt. Dann gab sie ihm etwas zum Lesen (Traktat), worauf Edison meinte: Wenn sie ihm wirklich etwas Gutes tun will, solle sie Essen geben – das Essen im Gefängnis ist stark ausbaufähig. Daraufhin bekam er auch noch etwas Essensgeld. Die ganze Zeit war es um sie herum chaotisch mit Rufen der Gefangenen, Lachen und Reden der Polizisten und viel Tumult.
Das alles dauerte nicht einmal 2 Minuten, aber es war gut und richtig. Wir beten für den jungen Mann um Erkenntnis seiner Schuld, um Reue und neue Hinwendung zu Gott.
Direkt im Anschluss wurde Christina von einer der Polizistinnen in Beschlag genommen, die sie von Edison weg in ein separates Zimmer leiten wollte. Natürlich wollte auch diese Dame etwas von den weißen Segnungen abhaben und fordern. Doch Edison ein ganz feiner und intelligenter Dozent, nahm das wahr, trat der Dame entgegen und redete leise und intensiv mit ihr. Später erklärte er Christina, dass er ihr sagte, wie sie denn dazu käme zu betteln als offizielle Polizistin im Dienst? Sie hat einen Job, wird vom Staat bezahlt und darf ihre Autorität nicht zu so etwas missbrauchen – sie solle sich schämen! Sprachs, nahm Christina und sie gingen – ein aufregender Tag der hier zu Ende ging.

Wir beten weiter für Gboko, den jungen Mann, Schuld auf sich geladen, Menschen und Gott tief verletzt hat. Nun aber sind wir alle Sünder und bedürfen der Vergebung und der Hoffnung auf ein Danach – Gottlob ist das möglich – möge er dahin kommen!